Filmkritik: Hotel Dallas
BERLINALE 2016 – PANORAMA. Wenn David Hasselhoff wirklich für den Fall der Berliner Mauer verantwortlich war, dann ist der amerikanischen TV-Serie Dallas der Untergang der neostalinistischen Diktatur in Rumänien Ende 1989 zuzuschreiben. Diese Analogie erscheint plausibel beim Anschauen von Hotel Dallas, einem schrägen, experimentellen Dokumentarfilm über die ungeheure Anteilnahme der verarmten rumänischen Zuschauer am Schicksal der fiktiven Ölmagnaten-Familie Ewing.
Am Tag, als Bobby Ewing starb
Den abgrundtiefen Werteverfall im Kapitalismus wollte die rumänische Führung ihren Bürgern präsentieren, als sie in den 80ern die Fernsehserie Dallas ins spärliche TV-Programm holte. Dieses umfasste bis dahin nur Propagandasendungen über Nicolae Ceaușescu. Es ist wohl vor allem diesem Mangel an Alternativen zu verdanken, dass die Serie in Rumänien im Nu zum Hit wurde und bei den Zuschauern weniger Abscheu als Verzückung hervorrief.
Sobald die Titelmelodie erklang, wurden die draußen tobenden Kinder hereingerufen, berichten die Befragten in Hotel Dallas. Und keine Episode war bitterer, als die um Bobby Ewings Tod. Bobby, der braungelockte, von Patrick Duffy gespielte Bruder vom Stetson-tragenden Fiesling J.R. Ewing wurde als Heilsbringer in diesem Mikrokosmos um Intrigen und Macht betrachtet. Als Figur, die alles wettmachte, was J.R. verbrochen hatte und so das Gleichgewicht auf der Southfork Ranch wiederherstellte. Mit einem herrlichen Reenactment seines Serientods durch linientreue Junge Pioniere eröffnet Hotel Dallas. Wir werden Zeuge, wie der junge Bobby seine letzten, dem sozialistischen Kampf gewidmeten Worte aushaucht, nachdem er von einem intriganten Gör auf einem Bonanzarad überfahren wurde.
Patrick Duffy will nach Hause
Und so beginnt die Rahmenhandlung von Hotel Dallas: Nach seinem Serientod erwacht Bobby (beziehungsweise Patrick Duffys Stimme) im Hotel Dallas in Slobozia, Rumänien. Dieses real existierende Hotel wurde nach dem Zerfall der Sozialistischen Republik Rumänien von einem zwielichtigen Oligarchen namens Ilie erbaut. Ilie hatte sich sowohl J.R.s Look als auch seinen perfiden Geschäftssinn zu eigen gemacht, was ihn bald ins Gefängnis brachte. Bobby stößt im Foyer schließlich auf Livia, die junge Empfangsdame im Cowboy-Look, und bittet diese, ihn heimzubringen. Gemeinsam treten sie eine Reise durch das vergangene und gegenwärtige Rumänien und die Verflechtung seines Schicksals mit Bobbys Serienheimat an.
Collage und Zeitmaschine
Eine wilde Mischung aus dieser surrealen Rahmengeschichte, realen TV-Ausschnitten, selbst gedrehten Musikclips und Interviews mit den einstigen Dallas-Zuschauern präsentiert diese Doku-Collage des Künstler-Ehepaars Livia Ungur und Sherng-Lee Huang. Beide leben und arbeiten in New York und haben sich für ihren Film in Livias eigene Vergangenheit nach Rumänien begeben. Für die Aufnahmen wurden ihre Verwandten eingespannt. So spielt etwa Livias Vater den kriminellen Hotelbesitzer Ilie in der Rahmenhandlung.
Etwas amateurhaft und bemüht mögen die fiktiven Elemente in Hotel Dallas zuweilen wirken, wenn zum Beispiel Livia von ihrer Mutter gebeten wird, in Bukarest einer Verwandten ein Paket zu überbringen. Wir sehen Livia und Bobby selbst in dieses Paket steigen, das schließlich zur Camera Obscura wird. Aber trotz oder gerade wegen dieser abwegigen Einfälle versprüht Hotel Dallas einen unwiderstehlichen Charme, steht es doch zu seiner ganz eigenen Erzählform einer scheppernden kleinen Zeitmaschine, die den Zuschauer in entlegene Orte und Stimmungen innerhalb Rumäniens einstiger Diktatur bringt.
Hotel DallasRumänien / USA 2016 culturshock-Wertung: 6/10 |
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