Film

Berlinale 2024 #1: Small Things Like These (Wettbewerb)

BERLINALE 2024 – WETTBEWERB: Das irisch-belgische Drama Small Things Like These eröffnet die Berlinale mit einem gewichtigen Thema und hochkarätiger Besetzung, aber leider etwas träger Erzählweise.

Massenweise Kohle schaufeln muss Bill Furlong (Cillian Murphy) in den Wochen vor Weihnachten. Schließlich versorgt er mit seiner Firma die Menschen in seiner kleinen irischen Heimatstadt New Ross und der Umgebung mit Heizgut und ist selbst Ehemann und Vater von vier Töchtern, die es zu ernähren gilt. Als es zur Mittagspause in einen kleinen Pub geht, schallt „Come on Eileen“ aus dem Radio – der Film lässt uns wissen, dass es 1985 und eine noch analog funktionierende Zeit ist, in der sich diese ruhige, regelmäßig von Kirchturmglocken beschallte Kleinstadt auf die Feiertage einstimmt. Mit seinem stoischen und verlässlichen Naturell ist Bill ein angesehenes Mitglied dieser Gemeinde. Doch als er eines Tages ein sogenanntes Magdalenenheim mit Kohle beliefert und beobachtet, wie eine junge, verzweifelte Frau gegen ihren Willen hineingezerrt wird, verharrt Bill in einer stillen Bewegungslosigkeit, die auf ein tiefliegendes Unwohlsein schließen lässt.

Anstalten für „gefallene Frauen“

Damit tritt ein Thema in Small Things Like These ein, das die irische Gesellschaft bis heute umtreibt: Seit Ende des 18. Jahrhunderts bis ins Jahr 1996 wurden vornehmlich aus sehr armen Verhältnissen stammende Mädchen, die außerehelich schwanger, Opfer sexueller Übergriffe, Prostituierte, kleinkriminell oder lediglich aufmüpfig waren in von der Kirche und dem Staat betriebene Magdalenen-Wäschereien untergebracht – schätzungsweise waren es 30.000 Betroffene. Im Zuge der Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels haben sich mehrere Filme mit Magdalenenheimen beschäftigt. So zeigte Regisseur Peter Mullen 2003 mit seinem in den 1950ern spielenden Drama Die unbarmherzigen Schwestern schonungslos auf, wie Mädchen in solchen von Nonnen geleiteten Unterkünften körperlicher und sexualisierter Gewalt sowie Zwangsarbeit ausgesetzt waren. Stephen Frears‘ auf einem wahren Fall beruhender Film Philomena (2013) bezog sich auf einen weiteren schockierenden Aspekt dieser Anstalten für „gefallen Frauen“: Dort geborene Kinder wurden von den Nonnen häufig ohne Einwilligung der jungen Mütter zur Adoption freigegeben.

„Mitgefühl und Liebe“

In Small Things Like These bleibt aber, was sich in den Heimen selbst zuträgt, recht vage und durch Bills flüchtigen Einblick perspektiviert. Stattdessen sind es seine eigenen Kindheitserinnerungen, die ihn im weiteren Verlauf des Films über das denkbare Unrecht reflektieren lassen, das diesen Mädchen widerfährt. Denn wie Rückblenden in die 1950er zeigen, war Bill der Sohn einer alleinerziehenden Mutter, die als Teenagerin schwanger geworden und schließlich bei der vermögenden und hilfsbereiten Mrs. Wilson (Michelle Fairley) untergekommen war. Nachdem Bill bei einer erneuten Lieferung ans Magdalenenheim in der Eingangshalle von der Insassin Sarah Redmond verzweifelt um Hilfe zur Flucht angefleht wird, treten die letzten Erinnerungen an sein Leben bei den Wilsons immer stärker hervor.

Bill kommt nicht umhin daran zu denken, wie es seiner Mutter in einer solchen Anstalt ergangen wäre, vertraut er seiner Frau Eileen (Eileen Walsh) später an. Doch diese tut sich wie seine gesamte Umgebung sehr schwer damit, offen über die Zustände in den Magdalenenheimen zu sprechen. „Im Leben muss man gewisse Dinge ignorieren“, rät sie ihrem Mann, den sie schon immer als zu weichherzig und weltfremd empfunden hat. Doch was zutiefst abgeklärt klingt, unterfüttert Schauspielerin Walsh mit einem ängstlichen Gebaren, das auf den ungeheuren Einfluss der Nonnen auf die Kleinstadt verweist. Dies wäre allen voran die eiserne Oberin Mary (Emily Watson), die die Gemeinde in der Vorweihnachtszeit zu „Mitgefühl und Liebe“ ermahnt, aber ebendies im Magdalenenheim gänzlich außer Acht lässt, wie Bill bei anderer Gelegenheit selbst mitkriegt.

Durchgängig dämmerig

Wie die gleichnamige Romanvorlage von Claire Keegan will sich Small Things Like These dem inneren Gewerk von Bill widmen, den die Verzweiflung von Heiminsassin Sarah nicht loslässt. Dabei hat er aber mit dem Dickicht aus Schuld und Scham zu kämpfen, das ihm seit frühester Kindheit bekannt und tief in der katholisch geprägten irischen Gesellschaft eingegraben ist. Mielants‘ durchgängig dämmeriges Drama blickt sehr konzentriert auf seinen Protagonisten, der von Cillian Murphy mit gewohnt bedächtiger Präsenz gespielt wird. Aber leider findet dieser Film nie die bildliche Deutlichkeit, um wirklich in Bill hineinzublicken. So lässt jede der Rückblenden entscheidende Fragen offen und Bills schrittweises Durchringen zur Handlungsbereitschaft hebt sich im recht trägen Voranschreiten der Haupthandlung kaum ab. So entfaltet Small Things Like These leider nicht die dramatische Kraft, wie es mit diesem so gewichtigen historischen Thema und der gelungenen Besetzung tatsächlich zu erwarten wäre.

Small Things Like These

Irland / Belgien 2024
REGIE: Tim Mielants. DREHBUCH: Enda Walsh (nach dem gleichnamigen Roman von Claire Keegan)
KAMERA: Frank Van den Eeden
BESETZUNG: Cillian Murphy, Eileen Walsh, Michelle Fairley, Emily Watson, Clare Dunne
96 Min. Kinostart Deutschland: unbekannt
Gesehen auf der Berlinale 2024 – Wettbewerb

culturshock-Wertung: 6/10

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