Film

Filmkritik: Cobain: Montage of Heck

Am 5. April 1994 setzte Kurt Cobain seinem Leben und damit auch seiner Band Nirvana, dem musikalischen Aushängeschild der Generation X, ein Ende. In den Jahren danach erschienen zahlreiche Biografien und Dokumentationen, die sich an der Person Cobains, seiner genreprägenden Band und seinen mitunter als ‚mysteriös‘ empfundenen Todesumständen abarbeiteten, wobei seine Witwe Courtney Love ins Fadenkreuz der Verschwörungstheoretiker geriet.

Zugleich waren Fans und Journalisten damit beschäftigt, ihn zu einem Ikonenstatus zu erheben, den der Ruhm stets skeptisch gegenüberstehende Musiker so kaum gewollt haben mag. Mit seiner Doku-Collage Cobain: Montage of Heck unterwandert Regisseur Brett Morgen diese unheilvolle Mythologisierung. Damit gelingt ihm gleichermaßen eine Annäherung an den Künstler Cobain.

Das Mixtape aus der Hölle

Für sein Projekt erhielt Brett Morgen die volle Autorisierung der Cobain-Familie. Courtney Love und die Eltern von Kurt Cobain gestatteten ihm Zugriff auf ein umfangreiches Archivmaterial, das er in einem unscheinbaren Mietlager vorfand. Hier stieß Morgen auf zwölf Pakete, die ihm Kurt Cobains Leben und Schaffen näherbringen sollten. Er fand zahlreiche von Cobain selbst angefertigte Notizen, Skizzen, Malereien, Fotos, Skulpturen und Mixtapes – wobei eine wahrscheinlich um 1988 angefertigte, mit „Montage of Heck“ beschriftete Kassette Cobains Morgen besonders auffiel. Dieses Mixtape bestand aus einer wilden Mischung aus manipulierten Radio-Aufnahmen, Demos und selbst erschaffenen Geräuschkulissen, die Morgen quasi das Tor zu Kurts kreativem Geist öffnete und seiner Doku einen Namen geben sollte. Dies ist jedenfalls die Erläuterung des Dokumentarfilmers hierzu. Die Gestaltung seiner Doku zeigt aber tatsächlich, dass diese Mashup-Kreativität Cobains bleibenden Eindruck auf Morgen hinterlassen haben muss.

Cobain Montage of Heck Doku

Kurt Cobain als Kind

“Und du warst so ein süßes Kind“

Obwohl Morgens Doku uns gängige Konventionen wie die erläuternde Erzählstimme aus dem Off erspart, widersetzt sie sich nicht der Chronologie und führt uns zunächst einige rührende Videoaufnahmen aus Cobains Kindheit in den 70ern vor. Wir sehen einen blonden, aufgeweckten Jungen, der den Aussagen seiner Mutter Wendy zufolge aufgrund seiner freundlichen und fröhlichen Art äußerst beliebt war. Auch seine Schwester Kim und sein Vater Don kommen zu Wort, wobei Morgen die Menge an Interviewmaterial wohl diskret gekürzt hat, so dass wir die gegenseitigen Schuldzuweisungen der Eltern bezüglich ihrer zerbrochenen Ehe und der anschließenden Vernachlässigung Kurts nur in ihren Grundzügen erleben.

Das Wesentliche wird umso deutlicher: Kurt litt sehr unter der Trennung seiner Eltern und dem anschließenden Verlust familiärer Geborgenheit. Er entwickelte sich zu einem schwierigen Teenager, der von seinen Mitmenschen befremdet war und – so seine Worte – „alle hasste, weil sie so verlogen waren.“ Eine vom niederländischen Grafikkünstler Hisko Hulsing angefertigte Animationssequenz zu Tagebucheinträgen Kurts visualisiert diese bittere Essenz seines Teenagerlebens aufs Eindrucksvollste. Dieser Mischung aus realistischer Zeichnung und einer aufrichtigen Erzählung Kurts über seine erste sexuelle Erfahrung und seine alles durchdringende Einsamkeit gelingt es, ein erstes klares Bild von der Persönlichkeit zu vermitteln, um die sich die Doku dreht.

Cobain Montage of Heck Doku

Hisko Hulsings Animationssequenz

Ein Aufstieg im Fall

Morgen zeigt uns die Kurt&Courtney-Story in bislang unveröffentlichten Privataufnahmen der beiden, in denen sie zunächst als herumalberndes, drogenabhängiges Paar und später als entzückte Eltern zu sehen sind. Einige, vielleicht zu viel Zeit widmet der Film dabei den damaligen Anschuldigungen, Courtney hätte auch während der Schwangerschaft Heroin gespritzt. Im Interview kommt Courtney schließlich selbst zu Wort und äußert – wie gewohnt – Haarsträubendes über ihren damaligen Lebenswandel und die Beziehung zu Kurt. Dass ihr nicht die Schuld an Kurts Niedergang zu geben ist, ist an dieser Stelle des Films schon klar geworden. Zu einstimmig fallen die Aussagen seiner Weggefährten bezüglich seiner destruktiven Persönlichkeit aus.

Cobain Montage of Heck Doku

Auch Courtney Love kommt zu Wort.

So äußert Nirvana-Gitarrist Krist Novoselic etwa, dass die Botschaften und damit auch Ankündigungen seines Selbstmordes Kurts Kunstwerken stets deutlich zu entnehmen waren. Und doch oder gerade deswegen erfolgte für Nirvana ein unvergleichlicher Aufstieg, der mit dem Niedergang der Person Kurt Cobain zusammenfiel. Diesem Ende nähert sich Cobain: Montage of Heck behutsam und ohne allzu emotionale Schlussfolgerungen. Fast so, als wolle dieser Film vermitteln, was viele bis heute nicht wahrhaben wollen: Es ist Zeit, die Person Kurt Cobain ruhen und seine Kunst für ihn sprechen zu lassen.

Cobain Montage of Heck DokuCobain: Montage of Heck

HBO Documentary Films, USA 2014
Regie: Brett Morgen
135 Min. Deutscher Kinostart: 09. April 2015

culturshock-Wertung: 7/10

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