Film

Filmkritik: Spear

DOWN UNDER BERLIN. Mit einem enigmatischen Tanzfilm eröffnete das diesjährige Down Under Berlin, das Festival des australischen und neuseeländischen Films, sein vielfältiges Programm. Spear ist die erste Leinwand-Produktion des Bangarra Dance Theatre, eines australisch-indigenen Tanzensembles, das sich in seinen Produktionen prägenden Kapiteln in der Geschichte der australischen Aborigines widmet. In traumwandlerischen Sequenzen und mit ausdrucksstarken Choreographien zeigt dieser Film die Sinnsuche eines jungen Aborigines im heutigen Australien. Eine intensive Auseinandersetzung mit Tradition, Spiritualität und gesellschaftlichen Problemen.

Reise zur Mannwerdung

Stoisch durchwandert der junge Djali (Hunter Page-Lochard, bekannt aus der australischen Serie Cleverman) die unterschiedlichen Stationen in dieser Sinnsuche, die ihn von einer traditionellen Zeremonie an einer Steinküste geradewegs in die Urbanität führt. Dort findet er sich in dunklen Gassen und Unterführungen wieder, begegnet anderen Aborigine-Männern. Darunter ist ein obdachloser Alkoholiker, der später in einem Monolog erzählt, wie er seinen Job, seine Familie, seinen Lebenswillen verloren hat.

Spear Tanzfilm Aborigines

Djali (Hunter Page-Lochard)

Mit einem älteren Mann macht sich Djali zwischenzeitlich auf, die Moderne mit ihren grellen Lichtern und Vergnügungen auf einer Bowlingbahn zu erkunden. Bis sie mit Bildern aus dem australischen Film Jedda von 1955 konfrontiert werden, der die Aborigines als unzivilisierte Wilde mit tragischem Schicksal darstellt. Anschließend begegnet Djali einem Mann, der tanzend seine traumatischen Missbrauchserfahrungen schildert. Und er besucht mit einer älteren Frau ein Gefängnis, dessen Insassen an der Hoffnungslosigkeit ihrer Situation zu zerbrechen drohen.

All diese Stationen bilden die harten gesellschaftlichen Realitäten vieler Aborigines im heutigen Australien ab. Dabei droht Djalis Wanderung geradewegs in eine Sackgasse von Ausweglosigkeit und sozialem Determinismus zu führen. Wenn es nicht diese andere, hoffnungsvolle Ebene von Spear gäbe: Szenen, in denen Traditionen heraufbeschworen, die Einheit von Mensch und Natur, Spiritualität und Gemeinschaft gefeiert werden.

Ein gelungenes Wagnis

Spear Tanzfilm Aborigines

Spear vermittelt uns Djalis Reise, seine Mannwerdung, mit sphärischen traditionellen Klängen und Gesängen, einigen wenigen Monologen und vor allem wirklich beeindruckenden Tanzdarbietungen, die von inneren Kämpfen, Einsamkeit und schließlich Überwindung zeugen. Es ist ein Wagnis, solch eine für die Bühne geschaffene Kunst auf die Leinwand zu übertragen. Aber Regisseur Stephen Page, der auch die künstlerische Leitung des Bangarra Dance Theatre innehat, versteht es, diese dem Kinozuschauer zugänglich zu machen. Souverän wechselt er bei der Inszenierung zwischen einer linearen Schilderung von Djalis Reise und abstrakteren kontemplativen Ausbrüchen. Nicht alles erschließt sich dabei dem Zuschauer sofort. Vielmehr zielt Spear auf eine längere Nachwirkung ab, was absolut gelingt. Ein beeindruckendes visuelles Erlebnis, das zur Auseinandersetzung mit Australiens indigener Kultur anregt.

Spear Tanzfilm AboriginesSpear

Australien 2015
Regie & Drehbuch: Stephen Page
Kamera: Bonnie Elliott
Besetzung: Hunter Page-Lochard, Waangenga Blanco, Aaron Pedersen
85 Min. Gesehen auf dem Down Under Berlin

culturshock-Wertung: 7/10

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