Filmkritik: Crosscurrent
BERLINALE 2016 – WETTBEWERB: Das surreale chinesische Drama Crosscurrent
Über einen alten, am Fluss gepflegten Brauch zur Trauerbewältigung wird zu Beginn von Crosscurrent (dt.: „Gegenströmung“) erzählt. Wenn ein Vater stirbt, sei es Aufgabe des Sohnes, einen schwarzen Fisch zu fangen, ihn in einem mit Wasser gefüllten Gefäß zu Hause aufzubewahren und ihn nicht zu füttern, bis er stirbt. Erst dann könne die Seele des Vaters ruhen, der Sohn seine Trauer ablegen und ein neues Leben beginnen. Der junge Mann Gao Chun (Qin Hao) folgt diesem Brauch, als er das Erbe seines Vaters antritt und dessen Frachtschiff über den Jangtse steuert. Der neue Lebensbeginn bleibt ihm aber verwehrt. Vielmehr scheint er sich im Fluss der Zeit fortan zu verlieren.
Die Unerreichbare
Yang Chaos Drama haftet von Beginn an eine poetische Schwermut an, die sich nicht nur in der dunklen Farbpalette ausdrückt, in die der Jangste hier gehüllt ist. Auch der Protagonist Gao Chun scheint tief in Gedanken versunken und dauernd um diese zu kreisen, während die anderen beiden Männer an Bord, sein Onkel und dessen Sohn, klare Anweisungen fordern. Eines Tages entdeckt Chun in einer hinteren Ecke des Schiffsinnenraums ein Notizbuch mit selbst verfassten Gedichten von jemandem, der einst selbst auf diesem Frachtschiff mitgefahren sein muss. Zu jeder Station hat der unbekannte Poet traurig-schöne Verse niedergeschrieben, die etwa vom ewigen Triumph der Trauer über die Freude handeln und einen anmutigen Fatalismus versprühen.
Chun ist fasziniert von diesen Zeilen, die ihn auf seiner Reise über den Fluss begleiten, ihn die einzelnen, längst nicht mehr existenten Stationen auf alten Landkarten suchen lassen und die ihn schließlich auch zu An Lu (Xin Zhi Lei ) führen – eine Frau, die an mehreren Stationen auf ihn wartet, doch jedes Mal ein anderes Leben zu anderer Zeit zu führen scheint. Ihre wahre Identität bleibt so unbestimmt wie die Gewissheit ihrer Existenz im Verlauf des Films immer unsicherer wird. Nur eines kann Chun schließlich feststellen: dass er und An Lu sich in keiner gemeinsamen Zeit treffen können, sondern stets aneinander vorbeigleiten werden.
Der Mensch im Strom der Zeit
Mit Crosscurrent ist Regisseur Yang Chao ein poetischer Film über das sehnsuchtsvolle Individuum und seine völlige Machtlosigkeit gegenüber dem machtvollen Strom der Zeit gelungen. In atemberaubenden Panorama-Einstellungen erblickt man als Zuschauer die großen, in Nebel gehüllten Schluchten des Jangtse, bevor man im nächsten Moment mit Chun auf dem Frachtschiff dahingleitet und mit ihm dem gerade noch so Fernen ganz nahe kommt. Diese Bilder im Zusammenspiel mit der berührenden Filmmusik und den gesprochenen Gedichtversen aus dem mysteriösen Gedichtband ergeben ein magisches Filmerlebnis, dem man sich kaum verschließen kann.
Crosscurrent(Original: Chang Jiang Tu) culturshock-Wertung: 8/10 |
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