Film

Filmkritik: Vlažnost / Humidity

BERLINALE 2016 – FORUM: Nikola Ljuca porträtiert die serbische Business-Class in Vlažnost (Humidity)

Es ist warm, drückend und schwül in diesem Film von Nikola Ljuca und den Charakteren soll man es anmerken: „Wasser“ ist in diesem Film das erste ausgesprochene Wort – von Mina (Tamara Krcunović), die an einem sonnigen Tag gerade leidenschaftlichen Sex mit ihrem jungen Liebhaber Milan hatte. Ein leichter Schweißfilm ist anschließend auf dem Gesicht ihres Ehemanns Petar (Miloš Timotijević) zu erkennen, den sie nach ihrem Besuch bei Milan vom Belgrader Flughafen abholt. In ihrer gemeinsamen Wohnung angekommen, legt sie sich ermattet zu ihrem frisch geduschten Mann ins Bett. Und ist nach seinem Erwachen abends spurlos verschwunden.

Ein Mann wahrt die Fassade

Dass Petar nicht sofort die Polizei alarmiert, nachdem er Mina auch nicht auf dem Handy erreichen kann und entdeckt, dass ihr Auto noch immer in der Garage parkt, irritiert zunächst nicht weiter. Die beiden scheinen ohnehin in einiger Distanz zueinander zu leben, sich nicht weiter über Gefühlszustände auszutauschen und auch nicht ständig darüber unterrichtet zu sein, was der andere gerade so treibt. Das Zusammensein des kinderlosen, erfolgreichen Ehepaars beschränkt sich eher auf das Abarbeiten eines straffen Veranstaltungsprogramms. So werden sie an ebendiesem Abend zur ausschweifenden Feier im Wochenendhaus von Petars Kollegen Srdjan erwartet. Petar geht hin und lässt sich Ausreden zu Minas Verbleib einfallen.

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Petar (Miloš Timotijević), mittig, beim Familienessen

Als Petar am nächsten Tag tatsächlich die Polizeiwache aufsucht und sich der dortige Beamte als alter Bekannter herausstellt, geht er unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Zu makellos scheint ihr Leben nach außen hin, als dass das unerklärliche Verschwinden von Mina bekannt werden könnte. Seine Ausreden gegenüber Minas Freunden und Verwandten werden immer elaborierter. Ansonsten geht er seinem Leben wie gewohnt nach. Das heißt: tagsüber in einem florierenden Bauunternehmen arbeiten, zwischendurch seine Eltern besuchen und sich abends mit seinen Freunden ins Belgrader Nachtleben stürzen. Bei letzterem sind jede Menge Alkohol, Kokain, knapp bekleidete Frauen und Eurodance im Spiel. Sorge um seine Frau ist ihm dabei nicht anzumerken. Hauptsache, sie taucht am Sonntag wieder auf, wenn seine Eltern die Slava (traditionelle Feier des Familien-Schutzheiligen) ausrichten.

Nach ihnen die Sintflut

Vlažnost (zu Deutsch: «Feuchtigkeit») ist ein bedächtig, stellenweise etwas zu gemächlich gefilmtes Gesellschaftsdrama, das sich die nach Krieg und Sanktionen emporgekommene, neureiche Business-Class Serbiens vorknöpft. Regisseur Nikola Ljuca porträtiert deren Angehörige als rücksichtlose, oberflächliche Hedonisten, die der vorangegangenen Generation eine geglückte Kombination aus Erfolg und Familiensinn vorgaukeln. Dabei liegt ihnen nichts ferner als gesellschaftlicher Zusammenhalt.

So beklagt sich Petars Schwester Bojana (herrlich tussig: Katarina Marković) etwa beim gemeinsamen Wellness-Treff darüber, dass ihr Sohn während der jüngsten Flutkatastrophe in Serbien doch tatsächlich einige ihrer Versace-Kleider gespendet habe. Ohnehin befürchte sie, dass aus ihm einer dieser nutzlosen Intellektuellen werden könnte. Mehr solcher treffender Beobachtungen hätten Ljucas Film gutgetan. Stattdessen setzt er zu sehr auf das Feuchtigkeitsmotiv und lässt seine Figuren in allen denkbaren Momenten schwitzen, duschen und/oder ihren Durst stillen. Im Großen und Ganzen dennoch ein gelungenes Gesellschaftsporträt.

Vlaznost Humidity Serbien DramaVlažnost

(International: Humidity)
Serbien/Niederlande/Griechenland 2016
REGIE: Nikola Ljuca. DREHBUCH: Staša Bajac, Nikola Ljuca
KAMERA: Maja Radošević
BESETZUNG: Miloš Timotijević, Tamara Krcunović, Maria Kraakman
113 Min.
Gesehen auf der BERLINALE 2016 – Forum

culturshock-Wertung: 7/10

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