Filmkritik: Wir Beide
Zwei gestandene Frauen in ihren 70ern, die ihre Liebe auch heutzutage noch verstecken müssen? Ja, es gibt noch immer solche Geschichten. Aber wie grandios sie Filippo Meneghetti mit Wir Beide erzählt, sieht man leider viel zu selten.
Geteiltes Doppelleben
Wortlose Zärtlichkeiten vorm Schlafengehen, vertrautes Zulächeln am Frühstückstisch und ein gemeinsamer Tanz zu Betty Curtis‘ „Sul mio carro“ (der italienischen Version von „I Will Follow Him“) – Wir Beide präsentiert uns von den frühesten Szenen an unmissverständlich ein älteres Paar, das noch immer verliebt ist. Nina (Barbara Sukowa) und Madeleine (Martine Chevallier), von Nina stets ‚Mado‘ genannt, sind beide in ihren 70ern, leben in einer beschaulichen französischen Stadt und träumen von einem Umzug nach Rom. Finanzieren wollen sie dies über den Verkauf von Mados Wohnung. Ein Vorhaben, das Mado ihren beiden erwachsenen Kindern Anne (Léa Drucker) und Frédéric (Jérôme Varanfrain) mitteilen will, als diese sie an ihrem Geburtstag besuchen. Doch hier kommen wir zur Hürde in der Liebesgeschichte von Wir Beide: Anne und Frédéric wissen nichts von der Partnerin ihrer verwitweten Mutter. Sie halten Nina lediglich für die Nachbarin, die gegenüber von ihrer Mutter wohnt.
Dies ist wohl der Hauptgrund, warum Nina und Madeleine nach Rom ziehen und sich endlich ein Leben ohne Versteckspiel (und ohne alibimäßige Zweitwohnung) aufbauen wollen. Doch im entscheidenden Moment bringt es Mado nicht über sich, ihren Kindern vom geplanten Umzug zu erzählen. Nina findet dies über Umwege heraus, konfrontiert sie – und bevor es zum finalen Bruch oder zur Klärung kommen kann, erleidet Mado einen Schlaganfall.
Von der Romanze zum Thriller
Elegant und schnörkellos wird die Bredouille von Mado und Nina bis zu diesem Punkt von Regisseur Filipo Meneghetti geschildert. Dabei unterstützen ihn die klaren, zwischen intimer Nähe und effektreicher Rahmung geschickt übergleitenden Aufnahmen von Kameramann Aurélien Marra. Doch nach Mados Einlieferung ins Krankenhaus wandelt sich Wir Beide von der Romanze unter schwierigen Umständen zu einer Art Drama mit Thriller-Elementen. Dies passt insofern, als Nina, die Jahre an der Seite von Mado verbracht hat, sich plötzlich dauerhaft in der Rolle einer kritisch beäugten Außenstehenden wiederfindet. Anne und Frédéric kennen sie nur als Madame Dorn von gegenüber. Dementsprechend beziehen sie sie kaum in Neuigkeiten zu Mados Zustand ein. Und so muss Nina aus der Distanz um ihre Partnerin bangen – bis zum Tag, als Mado im Rollstuhl, noch sprechunfähig und eskortiert von Anne und einer Pflegerin in ihre Wohnung zurückkehrt. Letzteres beobachtet Nina, quasi zur Stalkerin degradiert, aus ihrem Türspion.
Fortan muss Nina sich zudem einiges einfallen lassen, um in Mados Nähe sein zu können. Dass sie dabei aus Wut über die Gesamtsituation zu mitunter brachialen Mitteln greifen und ein Versteckspiel sondergleichen absolvieren muss, sorgt immer wieder für ungeahnte Spannungsmomente in Wir Beide, die mit pointierten Kamera-Zooms und Schnitten inszeniert werden. Zugleich betonen diese Suspense-Elemente aber das Absurde an dieser scheinbar ausweglosen Situation. Wieso und wovor müssen diese beiden erwachsenen und gestandenen Frauen ihre Liebe eigentlich verstecken?
Subtil und ergreifend
Filme, in denen Figuren für ihre*n Liebste*n zu allen erdenklichen Mitteln greifen, Geduldsproben überstehen und Unfassbares über sich ergehen lassen, gibt es zuhauf. Je häufiger man dieses Liebe-besiegt-alles-Motiv über sich hat ergehen lassen, desto unerträglicher werden seine gängigsten Erscheinungsformen: die aufdringlich symbolische Bildsprache, theatralischen Dialogmomente und allzu manipulativen Streichermelodien, die zielgenau die Tränendrüsen des Publikums ansteuern. Umso angenehmer ist es, wie weit hiervon Wir Beide entfernt ist und dennoch zu Herzen geht. Meneghetti vermittelt die unbändige Liebe, die Nina und Mado füreinander empfinden, durch subtile Einstellungen, kleine, behutsam eingefangene Details, die langsam, aber niemals vollends bloßgelegt werden. Damit ließ er Sukowa und Chevallier zudem genügend Raum für ausdrucksstarke, kaum dialogorientierte Darbietungen. So ist ihm mit Wir Beide ein vielversprechendes Spielfilmdebüt mit überraschendem Spannungsaufbau gelungen, das in Schlüsselmomenten eine ungeahnt ergreifende Wirkung entfaltet. Sehenswert.
Wir Beide(Original: Deux) culturshock-Wertung: 7/10 |
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