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Filmkritik: The Girl with all the Gifts

FANTASY FILMFEST 2016. Sie wohnt abgeschottet in einer dunklen Zelle, trägt eine orangefarbene Gefangenenuniform und erfreut sich jede Nacht an zwei Katzenbildchen, bevor sie sich schlafenlegt, um am nächsten Tag die gleiche verstörende Routine über sich ergehen zu lassen. In The Girl with all the Gifts ist man als Zuschauer von der ersten Szene an dazu verdammt, die 10-jährige Melanie (Sennia Nanua) zu mögen.

Sich darüber zu wundern, wie sie die grimmigen Soldaten so freudig begrüßen kann, die sie jeden Morgen in einen Rollstuhl setzen und ihren Kopf, ihre Arme und Beine darin fixieren. Wie sie in dieser Horrorvision einer Unterrichtsstunde munter bleiben kann, in der alle Kinder in Rollstühlen in einen dunklen Raum gekarrt und dann nach den Elementen des Periodensystems abgefragt werden. Doch Melanie fiebert nur dem Moment entgegen, in dem Miss Justineau (Gemma Arterton) das Klassenzimmer betritt und ihnen eine Geschichte erzählt. Die von dem Mädchen, das einen Tages eine Büchse öffnet und damit alles Übel, Leid und einen Funken Hoffnung über die Menschheit verteilt, hat es Melanie besonders angetan. Sie selbst wäre gern eine Hoffnungsträgerin, während die Erwachsenen um sie herum sie als eines der Übel betrachten.

Generation Hungrig

Denn Melanie ist seit ihrer Geburt von einem Parasiten befallen, der in der Welt von The Girl with all the Gifts schon unzählige Menschen in ‚Hungries‘ verwandelt hat, die aus ihrer Lethargie nur erwachen, wenn sie Menschenfleisch riechen, von dem sie sich bevorzugt ernähren. Eine Pilzinfektion als neuer Kniff fürs ungebremst populäre Zombie-Filmgenre – das kann man albern finden. Doch The Girl with all the Gifts ist die Verfilmung des gleichnamigen dystopischen Romans von M.R. Carey, der hierfür auch das Drehbuch geliefert hat. Und das Zombie-Motiv tritt hier in den Hintergrund zugunsten einer Erzählung über den Sinn eines menschlichen Überlebenskampfs im Angesicht des Aufkeimens einer neuen Lebensform.

The Girl with all the Gifts

Melanie (Sennia Nanua)

Melanie und ihre Mitschüler, die in dieser Militär-Basis zugleich gefangen aber auch von den ‚Hungries‘ abgeschottet werden, stellen nämlich eine Sonderform der Befallenen dar. Sie haben ein Bewusstsein, können denken und fühlen und ihr Verlangen nach Menschenfleisch unterdrücken – manchmal. Während Melanies Lehrerin Helen Justineau dies als Gründe für einen menschlichen Umgang mit diesen Kindern anführt, verfolgt die Wissenschaftlerin Caroline Caldwell (sympathisch-kaltherzig: Glenn Close) ein anderes Ziel: Ein wirksames Mittel gegen die Infektion herzustellen, wofür sie die Gefangenen sezieren muss. Geraden Schrittes läuft sie abends die Gänge zwischen den Zellen ab, um die nächsten Versuchspersonen zu bestimmen, wobei sie gelegentlich mit Melanie plaudert und ihr Rätselaufgaben gibt. Die jüngste ist das Gedankenexperiment zu Schrödingers Katze: Eine Katze ist gefangen in einer Schachtel, sie könnte lebendig oder tot sein. Was ist sie?

Bevor Melanie sich in den nächsten Tagen eine Antwort überlegen kann, landet sie auf dem Seziertisch von Dr. Caldwell. Sie wird in letzter Sekunde von Miss Justineau gerettet, die Militärbasis zugleich von den ‚Hungries‘ überrannt. Schließlich findet sich Melanie zusammen mit Dr. Caldwell, Miss Justineau und mehreren Soldaten im gemeinsamen Überlebenskampf auf der Suche nach einem sicheren Stützpunkt wieder. Doch ihre Loyalität gegenüber der Gruppe wird durch andere Infizierte auf die Probe gestellt.

The Girl with all the Gifts

Die letzten Überlebenden? Dr. Caldwell (Glenn Close), Helen Justineau (Gemma Arterton), Sergeant Eddie Parks (Paddy Considine), Private Kieran Gallagher (Fisayo Akinade)

Zerrissen aber mehrdeutig

Ebenso wird auch der geneigte Zuschauer auf die Probe gestellt, denn The Girl with all the Gifts leidet bezüglich seines Genres an derselben Zerrissenheit, die auch seine Protagonistin befällt. Als Vertreter des (Virus-)Zombie-Films vermag er kaum zu verblüffen. Schließlich wurde der Trend zur Bewusstwerdung des Zombies schon mit George A. Romeros Land of the Dead (2005) eingeläutet und zuletzt mit Warm Bodies (2013) der Perspektivwechsel vom Überlebenden zum Infizierten unternommen. Stellenweise ist Colm McCarthys Inszenierung sogar etwas lächerlich ausgefallen, wenn etwa die Horde von Kinder-Zombies als unfreiwillig niedlicher Stamm von Junior-Kannibalen aufmarschiert.

Dies lenkt leider etwas vom großen Potenzial von The Girl with all the Gifts ab, eine lehrreiche, vielfach lesbare Dystopie darzustellen, die wichtige Fragen aufwirft. Bis zu welchem Punkt etwa die Anspruchshaltung der Menschheit ihren Fortbestand zu sichern, gerechtfertigt ist. Und wann ihre Überlegenheit trotz aller wissenschaftlichen Errungenschaften an Grenzen gerät. Eine Antwort darauf wird zur Mitte des Films angedeutet, kurz bevor Dr. Caldwell Melanie für die Sektion betäuben will. Die Katze aus dem Rätsel sei beides, flüstert sie Melanie zu, tot und lebendig – so wie sie, die nun ihrer Bestimmung entgegengeht, mit ihrem Tod der (uninfizierten) Menschheit zu dienen. Melanies Lösung des Rätsels lautet hingegen: Die Schachtel ist leer – die Katze sei schon längst entwischt.

The Girl with all the GiftsThe Girl with all the Gifts

Großbritannien/USA 2016

Regie: Colm McCarthy. Drehbuch: Mike Carey

Besetzung: Sennia Nanua, Gemma Arterton, Glenn Close, Paddy Considine

111 Min. Aktuell auf dem Fantasy Filmfest

culturshock-Wertung: 6/10

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