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Serienkritik: You – Du wirst mich lieben

Einen gewalttätigen Psychopathen zum Protagonisten einer Serie zu machen, ist keineswegs neu. Man denke beispielsweise an Dexter, den Serienmörder mit Moralkodex, oder an den kultivierten Kannibalen Hannibal, der in der gleichnamigen Serie vom eleganten Mads Mikkelsen gespielt wird, nachdem er in Das Schweigen der Lämmer von Sir Anthony Hopkins verkörpert wurde. Die Netflix-Serie You – Du wirst mich lieben – nach der Romanvorlage der amerikanischen Autorin Caroline Kepnes – reiht sich nun ein in diese Galerie von ausnahmslos männlichen, mehr als zwiespältigen Hauptcharaktere, denen Zuschauer/innen so gern erliegen.

Zugleich ist es ein Wagnis, den psychotischen Stalker einer Frau zum Serienhelden zu machen in einer Zeit, in der öffentlich wieder mehr über sexuelle Gewalt gegen Frauen diskutiert wird. Wie kommt es also, dass diese Serie seit ihrem Erscheinen im Dezember 2018 zum ersten Netflix-Hit im neuen Jahr avancierte?

Zunächst einmal wäre da die besondere Erzählstrategie von You. Ausgangsort für die Handlung ist eine kleine New Yorker Buchhandlung. Und auch wieder nicht: Wir befinden uns vielmehr im Kopf von Joe Goldberg (Penn Badgley), hören seine Gedanken via Stimme aus dem Off, während er die Frau betrachtet und aus Du-Perspektive beschreibt, die zum ersten Mal diese Buchhandlung betritt. Die Frau, für die er schlagartig Interesse entwickelt, mit der er sich unterhält, deren ungewöhnlichen Namen er erfährt (Guinevere Beck), den er anschließend googelt.

Und was man noch für eine sachte Obsession im digitalen Zeitalter halten mag, wird recht eindeutig, als Joe die Adresse von Beck (Elizabeth Lail) findet, mehrfach aufsucht, sie von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachtet (Erdgeschosswohnung ohne Vorhänge…) und sich dabei gelegentlich einen runterholt. Ab hier haben wir Gewissheit: Wir nehmen das Geschehen von You nicht (nur) aus der Sicht eines frisch Verliebten, sondern aus der eines psychotischen Stalkers wahr. Die Abscheu hält sich aber weiterhin in Grenzen, während die Faszination für Joe wächst.

Ein Underdog im YOLO-Tal

You Du wirst mich lieben

Er ist ein Stalker und er sieht gut aus: Joe (Penn Badgley)

Dies ist nicht nur in der recht ansehnlichen Figur begründet, die Gossip Girl-Star Penn Badgley hier abgibt. Gleich in der ersten Episode wird auch der Underdog-Status von Joe etabliert. Er ist ein Einzelgänger, führt eine Buchhandlung, liest viel, geht wenig aus und den meisten Menschen aus dem Weg. Das Bestreben seiner Generation, es in New York zu etwas Großem zu bringen und nebenbei das Leben in vollen Zügen zu genießen, teilt er nicht. Mit den üblichen Zerstreuungen des digitalen Zeitalters hat er nichts am Hut, auf eine eigene Social Media-Präsenz verzichtet er („macht einen wahnsinnig angreifbar und hat Null Vorteile“).

Zugleich ist er keineswegs weltfremd, sondern versiert darin, Menschen mit analytischem Blick zu durchleuchten – mithilfe eigener Erfahrungen, Kenntnissen gesellschaftlicher Tendenzen und seines versierten Umgangs mit dem stetigen Datenfluss im Internet. Durch Becks unbedarfte Nutzung von Facebook und Co. („Alle Konten offen einsehbar. Du willst gesehen werden, gehört, gekannt.“) hat Joe nicht nur schnell ihre Adresse und ihren Tagesablauf registriert. Er trifft auch auf die Diskrepanz, die sich zwischen ihrer Selbstdarstellung als „sorglose Dilettantin“ und ihrem von Geldsorgen und Unterlegenheitsgefühlen durchzogenen Leben auftut.

Authentizität im Reigen der Identitäten

Und hier trifft You einen Nerv unserer Zeit. Es ist der Hunger nach Authentizität in einer Welt, in der die Social Media-Präsenz von vielen einer perfekt zusammengestellte, angenehm gefilterte Foto-Collage gleicht, die vorgeblich ihr Leben repräsentiert. So auch im Fall von Beck, die sich als dauerfröhliche, Yoga liebende, gesellige, angehende Schriftstellerin inszeniert. Ihre Freundinnen sind allesamt wohlhabende New Yorkerinnen, die einen extravaganten Lebensstil mit Lebensinhalt verwechseln. Und ihre On-Off-Affäre Benji (Lou Taylor Pucci) ist ein konstant Dummheiten von sich gebender, Gluten meidender Start-Up-Kotzbrocken beziehungsweise Sohn reicher Eltern.

You Du wirst mich lieben

Schön und ahnungslos: Beck (Elizabeth Lail)

Nein, You ist nicht gerade subtil in der Darstellung von New Yorker Mittzwanzigern der Gegenwart. Sie sind allesamt feierwütige, oberflächliche und rücksichtslose Lemminge, die das Bild, das sie in den sozialen Medien von sich kreieren, für einzigartig halten und als ihre Identität ausgeben. Es scheint moralisch nicht verwerflich, sie zu verabscheuen und zu verhöhnen. Daher schlagen wir uns schnell auf Joes Seite, dessen Zeitgeist-Analysen oft genug ins Schwarze treffen. Obwohl er im Leben von Beck und ihren Freunden nach Lust und Laune herumschnüffelt, lügt, verheimlicht und sich mehrfach strafbar macht, erscheint er in diesem Spiel der Identitäten als einzig authentischer Teilnehmer. Und dies nicht nur weil wir seine Gedanken kennen, sondern auch, weil diese Gedanken nicht um Status, Aufmerksamkeit und Anerkennung kreisen.

Der letzte Kavalier?

Sie kreisen einzig und allein um Beck, auf krankhafte Weise, aber auch auf eine Weise, die einem veralteten Ideal entspricht. So erklärt er dem Nachbarjungen Paco (Luca Padovan) an einer Stelle, was es heißt, ein Kavalier zu sein: „andere Menschen mit Respekt behandeln. Vor allem Frauen.“ Er empfiehlt ihm dies als anstrebenswerte Verhaltensregel. Joes obsessive Verliebtheit in Beck lebt aber noch vielmehr von einer Überhöhung und Idealisierung. Er hebt sie auf ein Podest, registriert zwar ihre Charakterfehler, ist aber überzeugt davon, diese ausmerzen zu können. Indem er alles und jeden aus dem Weg räumt, der sich ihrer potenziellen und dann realen Beziehung entgegenstellt.

Und obwohl die Skrupellosigkeit Joes schon am Ende der ersten Episode etabliert wird, überrascht es immer wieder im Verlauf von You, wozu er fähig ist. Es entwickelt sich ein spannender Thriller-Plot, der aber zunehmend löchrig wird. Allzu oft kommt Joe unbeschadet und verdachtsfrei aus Situationen, die ihn hätten entlarven müssen. Wenn es darum geht, Menschen zu beseitigen (ja, so weit wird er gehen), wird mitten im entscheidenden Moment weggeblendet.

Das ist für jeden Krimi-Fan ärgerlich, denn statt eine nachvollziehbare, geschickte Erzählkonstruktion zu liefern, verlangt You viel zu oft, dass wir unsere Logik und Skepsis aussetzen (suspension of disbelief) und einfach über den Protagonisten staunen. Diese Rechnung geht nach dieser ersten Staffel tatsächlich auf: Die Faszination für Joe und die Neugier darauf, wohin ihn seine romantisch-obsessive Psychose als nächstes treiben wird, bleiben nach der letzten Episode dank Cliffhanger bestehen. Nur zeigt das Ende von You zugleich, dass auch das größte Interesse an einer Person recht unerwartet abkühlen kann.

 

You – Du wirst mich lieben

USA 2018
Basierend auf dem Roman You von Caroline Kepnes
ENTWICKELT VON: Greg Berlanti, Sera Gamble
BESETZUNG: Penn Badgley, Elizabeth Lail, Luca Padovan, Zach Cherry, Shay Mitchell
Bislang 1 Staffel,10 Episoden
Episodenlänge: 41-49 Min.
Verfügbar auf: Netflix

culturshock-Wertung: 6/10

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