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culturtape – Berlinale 2018

Die Bären sind verliehen, bald wird der Rote Teppich vorm Berlinale Palast zusammengerollt und das war’s dann für dieses Jahr. Was bleibt in Erinnerung von der Berlinale 2018? Viele Filme, die sich mit dem Künstlerdasein auseinandergesetzt haben: im Zusammenhang mit Bigotterie (Becoming Astrid, The Happy Prince), politischem Druck (Dovlatov), Aktivismus (Matangi/Maya/M.I.A.) oder persönlichen Rückschlägen (3 Tage in Quiberon, Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot).

Touch Me Not, der Preisträger des Goldenen Bären, hatte damit aber ebenso wenig zu tun wie mein persönlicher Favorit In den Gängen von Thomas Stuber. Letzterer hatte einen bemerkenswerten Einsatz von Musik zu bieten und trug zu den vielen Ohrwürmern bei, die mich von einem Film zum nächsten begleiteten. Hier nun der sich daraus ergebende Soundtrack zur Berlinale 2018.

Berlinale 2018

Als Bester Film mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet: Touch Me Not von Adina Pintilie | © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l’Etranger

Isle of Dogs

Mit Wes Andersons Isle of Dogs fing die Berlinale schon mal vielversprechend an, auch in musikalischer Hinsicht: japanische Taiko-Trommeln, Klarinetten- und Saxophon-Klänge machten den voranpreschenden Score von Alexandra Desplat aus, der über ein paar Längen des Films hinwegblicken (bzw. -hören) ließ. Dazwischen gab es aber auch einen ruhigen Moment, in dem Akira auf Wanderschaft mit den Alpha-Hunden zu sehen ist, untermalt von „I Won’t Hurt You“, einem sanften Song von The West Coast Pop Art Experimental Band:

Transit

Mit Transit legte Christian Petzold eine freie Interpretation des gleichnamigen Romans von Anna Seghers vor. Im Roman ging es um den Deutschen Georg, der während des Zweiten Weltkriegs versucht über Frankreich nach Amerika zu entfliehen. Petzold verlegte diese Handlung in die Gegenwart, was natürlich allerlei Assoziationen zu heutigen Fluchtszenarien weckt. Im Laufe seines Films entspinnt sich eine Dreiecksgeschichte, die dafür sorgt, dass die scheinbare Rettung über einen Platz an Bord des Schiffes nach Amerika immer wieder in weite Ferne rückt. Nervenaufreibend und ernst bis zum offenen Ende, nach dem der Abspann mit folgendem Song für Gelächter und spontanes Mitträllern meines Sitznachbarn sorgte:

Utøya 22. juli

Ernst ging es natürlich auch in Utøya 22. juli zu, in dem Regisseur Erik Poppe die Anschläge vom 22. Juli 2011 in Norwegen aus der Sicht eines Mädchens im Sommercamp auf der Insel Utøya schildert. In einer 72 Minuten dauernden, atemlosen Plansequenz begleiten wir Kaja (eine rein fiktionale Figur) auf der Flucht vor Gewehrschüssen, vorbei an verletzten, sterbenden und toten Jugendlichen. In einer Szene gegen Ende versteckt sie sich mit Magnus, den sie erst eine Stunde zuvor kennengelernt hatte, am Ufer der Insel. Sie ist verängstigt und unentschlossen, ob sie hinausschwimmen oder bleiben soll, wo sie ist. Magnus versucht sie abzulenken, in dem er sie über ihre Hobbys ausfragt. Kaja singt im Chor und Magnus wünscht sich ein Lied von ihr. In einer berührenden Szene setzt sie zu folgendem Song an:

Matangi/Maya/M.I.A.

Mit Matangi/Maya/M.I.A. präsentierte Stephen Loveridge in der Panorama-Sektion einen Dokumentarfilm zur Ausnahme-Musikerin M.I.A. und deren umstrittenem Aktivismus für die Tamilen auf Sri Lanka. Eindeutig auf ihrer Seite war das Kinopublikum aber, als es um ihren Auftritt beim Super Bowl 2012 ging. M.I.A. ließ es sich nicht nehmen, während ihrer Performance mit Madonna und Nicki Minaj den Mittelfinger in die Kamera zu recken. Nach Janet Jacksons 2004 entblößter Brust der nächste große Schocker für das sensible christliche Super Bowl-Publikum. Im Film erleben wir mit, wie M.I.A. hinterher in der Umkleide von einem aufgebrachten Repräsentanten der National Football League aufgesucht wird und ihr eine Strafzahlung von 15 Millionen Dollar droht. Sie wehrt sich – indem sie den Mittelfinger zum Protestmittel gegen Sexismus erklärt und darauf verweist, das sie eben ein Bad Girl sei, wie ihr kurz zuvor veröffentlichter Song schon klargemacht habe:

Songwriter

Völlig skandalfrei hingegen der britische Schmusebarde Ed Sheeran, über den es einen Werbe…, äh Dokumentarfilm auf der Berlinale zu sehen gab. Songwriter sollte darlegen, was Sheeran in erster Linie ist: ein hart arbeitender Liedfabrikant, der jede Menge Gefühl und Hingabe in seine Musik steckt. Aber so richtig schwer scheint der Prozess des Songschreibens ihm nicht zu fallen. Wir sehen ihn an einem luxuriösen Rückzugsort beim Jammen mit vier Hilfs-Songwritern und aus jeder noch so vagen Idee hat er im Nu einen für ihn passablen Song gefertigt, woraufhin er zufrieden in die Kamera blickt. Und schon ist das dritte Album fertig. Nur an diesem einen Song habe er zwei Jahre geschrieben, wie er seinem Vater bei einer Zigarettenpause mitteilt. Jeder entscheide bitte für sich selbst, ob man diese Mühe heraushört:

In den Gängen

Zu guter letzt ein Film, der musikalisch viel zu bieten hatte: Thomas Stubers Großmarkt-Romanze In den Gängen zeigte uns die Schönheit und Tragik des scheinbar Schlichten und unterlegte Szenen aus dem Alltag der Großmarkt-Beschäftigten mit Klassik, Schlagerballaden oder melancholischem Folk. Am einprägsamsten die Szene, in der Christian (Franz Rogowski) zum ersten mal selbst im Gabelstapler sitzt und behutsam und ehrfurchtsvoll die Gänge entlangfährt – unterlegt von einem Song, der auf seine profunde Einsamkeit anspielt:

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