Film

Filmkritik: You Carry Me

SEEFF 2017. In drei Episoden erzählt die kroatisch-montenegrinische Filmemacherin Ivona Juka in ihrem Film You Carry Me (Ti mene nosiš) von Töchtern, Vätern und großen Lebensfragen, jedes Mal zentriert um eine der weiblichen Figuren: die vorpubertäre Dora, deren Vater Vedran ein strauchelnder Drogendealer ist, den sie sich zum Vorbild nimmt. Die allzeit wütende Ives, die sich liebe- und aufopferungsvoll um ihren dementen Vater kümmert und an der emotionalen Last zu zerbrechen droht. Und die erfolgreiche Nataša, deren Freude auf ihr erstes Kind laufend von unschönen Neuigkeiten und ungewollten Begegnungen mit ihrem entfremdeten Vater getrübt werden.

Die Soap in der Soap

Verbunden werden diese drei Lebenswelten von den Dreharbeiten zu Gefangene des Glücks, einer in üblichem überzogenen Kitsch aufgehenden Daily Soap. Die Serie wird von Nataša (Nataša Dorčić) produziert, von Ives (Lana Barić) gedreht und für das Make Up am Set sorgt Doras Mutter Lidija (Nataša Janjić). Ein gut gewählter Verbindungspunkt, denn so lächerlich alle an der Soap Beteiligten die sich überschlagenden Handlungsstränge doch finden, so überwältigend sind die Dinge, die aktuell im Leben von Lidija, Nataša und Ives passieren.

Letztere lebt mit ihrem verträumten Vater Ivan (Vojislav Brajović) zusammen, der sie aufgrund seiner Demenz immer häufiger für eine Affäre hält und sie dann bittet das Haus zu verlassen, bevor seine (verstorbene) Frau heimkommt. Hin- und hergerissen ist Ives zwischen Erschöpfung, Wut und großer Zuneigung für ihren Vater, mit dem sie Erinnerungen an eine sorgenfreie Kindheit verbindet. Wie sich all dies schließlich zu einem Sturm in Ives zusammenbraut und sie eine harte Entscheidung treffen lässt, ist beeindruckend gespielt und inszeniert. Regisseurin Jukas Blick für absurd-tragische Momente macht das ganze so herzzerreißend, dass man am Ende dieser Episode gar nicht weiterziehen mag zur nächsten.

Wegkreuzung auf der Flucht

In dieser zweiten Episode wähnt man sich in einer kurz vorm Zusammenbruch stehenden Familie. Die Kinder Jan und Dora erleben mit, wie ihre Eltern Lidija und Vedran nach dem jüngsten Polizeibesuch zunehmend auseinanderdriften. Während Lidija sich in eine Affäre flüchtet, versucht der für seine Kleinkriminalität im Ort bekannte Vedran sich zu ändern und einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Dass dies trotz anfänglicher Erfolge schließlich schiefgehen muss, ahnt der Zuschauer schon, als Vedran davon träumt, wie er von einem Steinhagel begraben wird. Die Sorge um seine rebellische Tochter Dora lotst ihn zwar wiederholt auf die richtige Bahn, vermag es aber nicht, ihn (und sie) vor jeder lebensverändernden Dummheit zu bewahren. Und so kreuzen sich gegen Ende des Films die Lebenswege von Dora, Vedran und Nataša zwangsläufig auf einem Fluchtweg. Letztere verlässt ihre Heimat, nachdem sie ihren Frieden gemacht hat – mit Betrug, Missbrauch und der Zeit, die sie noch hat.

Es sind dicht gewebte, berührende Geschichten übers Mensch- und Familienmenschsein, die Ivona Juka hier mit treffenden Dialogen und Lust am enthüllenden Moment offenbart. Im Zentrum: Die Frage danach, wer in diesen Vater-Tochter-Beziehungen wen stützt, aufrichtet, trägt. Meisterlich verknüpft Juka dafür drei Geschichten, zeigt in den Berührungspunkten aber zugleich, wie gefangen sich die Charaktere in ihren scheinbaren Lebenssackgassen fühlen. In den stärksten Momenten dieses Films fühlt man sich an Paul Thomas Andersons Magnolia (1999) erinnert. In anderen merkt man aber, woran es bei You Carry Me hapert. Da nicht alle drei Episoden gleichermaßen berührend und lebensnah geraten sind, wirkt das starre Nacheinander-weg-Erzählen der Geschichten nicht unbedingt zum Vorteil in einem ansonsten wirklich gelungenen Film.

You Carry Me DramaYou Carry Me (Ti mene nosiš)

Kroatien 2015
Regie & Drehbuch: Ivona Juka
Besetzung: Lana Barić, Vojislav Brajović, Nataša Janjić, Goran Hajduković, Helena Beljan, Nataša Dorčić
155 Min. Gesehen auf dem SEEFF 2017

culturshock-Wertung: 7/10

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