Filmkritik: Dovlatov
BERLINALE 2018 – WETTBEWERB: Sich einem Schriftstellerleben auf interessante Weise filmisch zu widmen ist schon schwierig genug. Aber wie steht es mit einem Autor, der die meiste Zeit seines Lebens vergeblich darauf hoffte, seine Werke überhaupt veröffentlichen zu dürfen? So erging es dem russischen Schriftsteller Sergei Dovlatov, bis er sich 1978 in die USA absetzte und zu einem der in Russland meistgelesenen Autoren avancierte. Regisseur Alexei German Jr. konzentriert sich in seinem biographischen Film Dovlatov auf einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben dieses Autors Anfang der 1970er Jahre in Leningrad. Entstanden ist ein interessantes Zeitgemälde von der damaligen Atmosphäre im intellektuellen Milieu Leningrads und ein starkes Plädoyer für Kunstfreiheit.
Nebelschleier über Leningrad
Keine Sonne, keine Klarheit: Ein dichter Dunst erstreckt sich über Leningrad in der Woche vor dem Jahrestag der Oktoberrevolution. Niemandem könnten die anstehenden Feierlichkeiten gleichgültiger sein als Sergei Dovlatov (Milan Mariċ), der sich dieser Tage nur mühsam aus dem Bett quält. Nachdem ihn seine Frau Elena (Helena Sujecka) samt Tochter verlassen hat, lebt der 30-Jährige wieder bei seiner Mutter, die ihn vergeblich zu ermutigen versucht. Seit seiner Kindheit träumt Dovlatov davon Schriftsteller zu sein. Seine Themen stoßen aber beim sowjetischen Schriftstellerverband auf wenig Gegenliebe, womit ihm eine Veröffentlichung seiner Werke verwehrt bleibt. Lediglich als Journalist für die Fabrikzeitung der Stadt darf er sich verdingen.
Zwischen Trotz und Ironie
Wir begleiten Dovlatov in dieser Woche vor den Feierlichkeiten durch die Stadt, hören seine melancholischen Gedanken im Voice-Over, während er sich mit Ironie und Nonchalance durch den Tag schlägt – etwa als er für die Fabrikzeitung die Darsteller eines Films über die großen russischen Schriftsteller interviewen soll. Sein großer Trost sind seine Freunde, die alle das gleiche Schicksal teilen. Auch sie können ihre Werke nicht an die Öffentlichkeit bringen, allen voran der Dichter Joseph Brodsky (Artur Beschastny), der ein Jahr später aus dem Land verbannt werden wird. Trinkend, philosophierend und scherzend bringen sie sich durch die Tage. Die langen Nächte gehen im Kreis von Gleichgesinnten unter Jazz-Klängen und Zigarettenqualm zu Ende.
Countdown bis zum Exil
Die Welt, die Regisseur German hier wiederauferstehen lässt, hat trotz der im Hintergrund lauernden eisernen Hand der Sowjet-Diktatur ihre charmanten Seiten. Es ist eine Umgebung, in der sich kunstaffine Menschen noch fester an große Literatur zu klammern scheinen. Sie sind mitunter sogar bereit, handgreiflich zu werden, wenn jemand ihre Lieblingsschriftsteller beleidigt. Zugleich steuert Dovlatov auf die Erkenntnis zu, dass auch diese Tage Leningrads gezählt sind. In Dovlatovs Freundeskreis mehren sich tragische Begebenheiten, bis er kaum noch fähig ist, die Fassade des unbekümmerten Trotzes aufrecht zu erhalten.
Dies schildert German in unaufdringlichen, aber umso aussagekräftigeren Bildern und in einem sanften Rhythmus, dem man sich schwelgend ergibt, um dann vom bitteren Ernst der Lage von Dovlatov und seinen Freunden gepackt zu werden. Statt zu kämpfen, sei er dazu verdammt, nur ein Stückchen der Welt aus dem Schlüsselloch der Zeit zu beobachten, erkennt Dovlatov an einer Stelle – was das heißt, demonstriert dieser sehenswerte Film an sich selbst.
DovlatovRussische Föderation / Polen / Serbien, 2018Regie & Drehbuch: Alexei German Jr.Besetzung: Milan Mariċ, Danila Kozlovsky, Helena Sujecka, Artur Beschastny, Elena Lyadova, Anton Shagin, Svetlana Khodchenkova, Piotr Gasowski, Eva Gerr, Hanna Sleszynska126 Min. Kinostart Deutschland: unbekanntculturshock-Wertung: 8/10 |