Film

Filmkritik: The Lobster

FANTASY FILMFEST NIGHTS 2016: Yorgos Lanthimos’ skurrile Beziehungsdystopie The Lobster

„Hummer werden hundert Jahre alt und bleiben ihr Leben lang fruchtbar.“ Darum möchte David (Colin Farrell) einer werden, falls er es in den nächsten 45 Tagen nicht schaffen sollte, eine neue Partnerin zu finden. Denn in der Welt, in der David lebt, ist das Single-Dasein unerwünscht. Wer nicht (mehr) verpartnert ist, hat drei Optionen: Schnellstmöglich eine neue ‚Liebe‘ finden, sich in sein Wunschtier verwandeln lassen oder sich den ‚Loners‘ anschließen, einer im Wald lebenden Rebellengruppe, die zum Abschuss freigegeben ist. Nachdem seine Frau ihn verlassen hat, entscheidet sich David zunächst für die erste Option und lässt sich in ein Hotel einweisen, das auf die schnelle Partnervermittlung spezialisiert ist. Doch deren Methodik ist noch gruseliger als die Ergebnisse unsinnigster ‚Matching‘-Algorithmen in gängigen Partnerportalen.

Beziehungsnot

Im besagten Hotel sollte es David eigentlich nicht so schwer fallen, eine neue Frau zu finden. Alle Insassen scheinen flirtwillig und dem Beziehungszwang ergeben. Für letzteres sorgen propagandistische Veranstaltungen, in denen das Hotelpersonal etwas unmotiviert die Alltagsgefahren des Single-Daseins und die absoluten Vorteile von Partnerschaften vorführt. Zudem ist den Partnersuchenden Selbstbefriedigung strengstens untersagt und wird drakonisch bestraft. Der Druck ist also da. Nur will jeder hier auch jemanden kennenlernen, der zu ihm und seinem besonderen ‚Charakteristikum‘ passt. Dieses ist in allen Fällen ein Handicap, das der Partner möglichst teilen sollte. Bei David ist es seine Kurzsichtigkeit. Im Hotel lernt er einen lispelnden Tollpatsch (John C. Reilly) und einen hinkenden Witwer (Ben Whishaw) kennen, die nach ebenfalls hinkenden beziehungsweise lispelnden Frauen Ausschau halten.

Als der Witwer ebenso wenig Erfolg hat wie David und der Lispler, reicht es ihm und er beschließt einer gelegentlich nasenblutenden Frau vorzugaukeln, er hätte dasselbe Charakteristikum. Die beiden kommen zusammen und steigen auf zur Doppelzimmer-Etage des Hotels. Sollte ihre frische Beziehung erste Risse bekommen, wird ihnen ein Kind zugewiesen (vielsagendes Publikumsgelächter). Ein fünfzehntägiger Jacht-Urlaub ist schließlich die Bewährungsprobe für die neue Partnerschaft. Erst danach hätten der Witwer und die Nasenbluterin nichts mehr zu befürchten.

The Lobster Lanthimos Dystopie

Die Anführerin der ‘Loners’ (Léa Seydoux) und ein in sein Wunschtier verwandelter Beziehungsversager.

Beziehungsverbot

Da David regelmäßig dabei versagt, sich zusätzliche Aufenthaltstage durch Abschuss eines Loners zu beschaffen (einzige Möglichkeit der Fristverlängerung), wird seine Zeit bald knapp und er beschließt dem Beispiel des Witwers zu folgen und eine Beziehung auf einer Lüge aufzubauen. Die Verzweiflung ist eben groß. Er bandelt mit einer offiziell ‚gefühllosen‘ Frau an und spielt ihr zunächst erfolgreich vor, er agiere ebenfalls eiskalt gegenüber seinen Mitmenschen. Doch der Schwindel fliegt bald auf und David flüchtet in den Wald, um sich den Loners anzuschließen. Ihre Anführerin (Léa Seydoux) heißt David willkommen, macht ihm aber auch klar, dass unter den Loners das Single-Dasein nicht nur toleriert wird, sondern vorgeschrieben ist. Wer flirtet oder gar heimlich eine Beziehung anfängt, dem drohen harte Strafen. Dumm nur, dass unter den Loners eine kurzsichtige Frau (Rachel Weisz) weilt…

Zwei Extreme, keine Würde

Einen wahnsinnigen, irrwitzigen Plot hat der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos hier zusammen mit Efthymis Filippou ersponnen. Dabei spielt er deutlich auf gesellschaftliche Gegebenheiten in punkto Beziehungswahn, Torschlusspanik und vermeintlich überzeugte Singles an. Erstaunt und belustigt verfolgt man mit, wie David von einer beziehungsextremistischen Umgebung in die nächste stolpert, auf der verzweifelten Suche nach einer würdevollen Existenz, die hier sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Beziehung wohl einfach nicht möglich ist.

Lanthimos‘ Figuren wirken in ihren naiven Vorstellungen von Partnerschaft wie Kinder, die die Beziehungsdynamik von Erwachsenen nachspielen, mitsamt ihren altertümlichen Regeln, lächerlichen Ritualen und allzu natürlichen Verläufen. Damit offenbart dieser Film, der als in naher Zukunft gelegene Dystopie beschrieben wird, das Groteske an unserer allgegenwärtigen Fixierung auf Partnerschaft und Single-Dasein als zentrale Faktoren für ein glückliches Leben. Ein urkomischer, aber auch unerwartet nachdenklich stimmender Film, der bezeichnenderweise vom deutschen Verleih mit dem blöden Untertitel „Hummer sind auch nur Menschen“ versehen und sogleich ins Liebeskomödien-Schubfach gesteckt wurde.

The Lobster Lanthimos DystopieThe Lobster

Irland, Großbritannien 2015

Regie: Yorgos Lanthimos. Drehbuch: Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippou

Hauptdarsteller: Colin Farrell, Rachel Weisz, Léa Seydoux

118 Min. Als DVD und Blu-ray erhältlich ab: 28. April 2016

culturshock-Wertung: 9/10

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