Film

Filmkritik: The Favourite

Bewusst hölzerne Dialoge und die bisweilen schmerzhafte Verzerrung ins Groteske – das ist man von Yorgos Lanthimos (Dogtooth, The Lobster, The Kiling of a Sacred Deer) gewohnt. Bislang. Mit seiner dritten internationalen Produktion The Favourite löst sich Lanthimos nämlich von seinem Hang zur überspitzten filmischen Allegorie. Stattdessen präsentiert er eine beißende, urkomische Barock-Satire über das weitreichende Intrigenspiel dreier Frauen.

The Favourite ist zudem der erste Film von Lanthimos, bei dem er nicht selbst das Drehbuch verfasst hat. Dieses stammt aus der Feder von Tony McNamara und Deborah Davis, wobei letztere den ersten Entwurf für ihr Skript, damals noch mit dem Arbeitstitel Balance of Power, bereits vor 20 Jahren schrieb. Damals und heute geht es um Intrigen am Hof der britischen Königin Anne, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts, während des Spanischen Erbfolgekriegs, über das Vereinigte Königreich herrschte.

Das Ungleichgewicht der Mächte

Gespielt wird Queen Anne von Olivia Colman als starrsinnige, verbitterte Frau. Sie wird von Gichtanfällen geplagt und ist nach achtzehn in Fehlgeburten und frühen Kindstoden resultierenden Schwangerschaften ein nervliches Wrack. Colman verleiht dieser traurigen Figur aber etwas rührend Kindliches und Trotziges, so dass man nicht umhinkann, mit dieser beizeiten sehr harschen Herrscherin mitzufühlen. An ihrer Seite hat Anne ihre Kindheitsfreundin Sarah Churchill (Rachel Weisz), die nicht nur den höchsten Rang unter den Hofdamen bekleidet, sondern auch die politische Beraterin der ansonsten eher schwerfällig regierenden Königin ist. Doch von blinder Ergebenheit kann man im Fall von Sarah nicht sprechen. Gegenüber der Königin tritt sie in den ersten Szenen streng und bevormundend auf. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn Anne falsche politische Entscheidungen trifft oder ihr Make-Up sie wie einen Waschbären aussehen lässt.

The Favourite

Gebrechlich und kindlich: Queen Anne (Olivia Colman)

Womit sich Sarah dieses hohe Privileg erkauft hat, erkunden wir durch den Neuankömmling am Hof: Sarahs Cousine Abigail Hill (Emma Stone). Eigentlich aus ebenso vornehmem Hause wie ihre Cousine stammend, ist Abigail durch die Spielsucht ihres Vaters tief gefallen und The Favourite macht sich einen bitterbösen Spaß daraus, zu zeigen, wie tief der Fall war. Schlammbespritzt erreicht sie den Hof, an dem ihr Cousine Sarah eine Anstellung als Küchenhelferin beschafft. Ganz unten muss sie anfangen, um ein leidlich würdevolles Dasein zu erreichen. Doch Abigail strebt verständlicher Weise nach Höherem. Als sie dahinterkommt, dass Sarah und Anne nicht nur eine langjährige Freundschaft, sondern auch eine heimliche Affäre verbindet, ist der Kampf um die Gunst der Königin eröffnet.

Spiel der Ambiguitäten und Extreme

Während diese Dreieckskonstellation am Hofe zwischen Queen Anne, Abigail Hill und Sarah Churchill (einer Vorfahrin von Winston Churchill) auf historischen Fakten beruht, wurde über intimere Verhältnisse zwischen der Königin und den beiden Damen lediglich spekuliert. In The Favourite wird die lesbische Affäre zwischen Queen Anne und Sarah auch nicht als von Leidenschaft geprägt dargestellt, sondern erscheint von Sarahs kaltem Machtkalkül getrieben. Als hochintelligente Machiavellistin ist Sarah abstoßend rücksichtslos, obwohl sie in ihrer Gefasstheit fasziniert. Man neigt viel eher dazu, Abigail die Zuschauersympathie zu schenken Auf ihren Schultern lastet die Erfahrung des sozialen Abstiegs und sexuellen Missbrauchs, während sie für eine würdevollere Existenz kämpft.

The Favourite

Schießübungen im Superweitwinkelobjektiv

Aber diese Eindeutigkeit lässt uns Lanthimos nicht. Er zeigt den königlichen Hof als geschlossenen Kosmos, in dem es bizarr zugeht. Dies wird vom wiederholten Einsatz des Fischaugenobjektivs untermalt, das die Stattlichkeit der Hofanlagen verzerrt hervortreten lässt. Der grotesk betonten Vornehmheit ist kein Glauben zu schenken. Die Männer mögen mit ihren Perücken und den gepuderten Gesichtern allesamt lächerlich erscheinen (insbesondere Nicholas Hoult als zickiger Politiker). Sie zögern aber nicht, ihre physische Dominanz hervorzubringen, wo sie es für nötig erachten.

Und die Frauen? Sind ein Widerspruch in sich, wie uns die Entwicklung von Anne, Sarah und Abigail vor Augen führt. Alle drei eint der nachvollziehbare Wille, ihren gesellschaftlichen Stand zu erhalten oder zu erhöhen – was mit diesem aber anfangen? Da besetzt jede dieser drei Frauen die Spitze in einem Dreieck aus Fatalismus, Hedonismus und Machtgier.

Ente oder Hase, Untertan oder Günstling?

Die Widersprüchlichkeit und das Spiel der Ambiguitäten werden im symbolischen Leitmotiv des Films umgesetzt: Die Unterscheidung zwischen Ente und Hase, was an die vom amerikanischen Psychologen Joseph Jastrow beschriebene optische Täuschung denken lässt, siehe rechts. Am Hof von Queen Anne stehen Entenrennen und die Entenjagd als Zeitvertreib hoch im Kurs, während die Königin selbst in ihren Gemächern von ihren geliebten Häschen umgeben ist, die sie als Ersatz für ihre verlorenen Kinder betrachtet. Sie sind Günstlinge, während die Enten Nutztiere, also Untertanen darstellen.

Im Verlauf von The Favourite werden wir wiederholt Zeuge, wie sowohl Sarah als auch Abigail dieser Illusion erliegen. Sie wähnen sich als Günstlinge, sind aber nichts als Untertanen. Und sie erfahren wiederholt, dass der soziale Aufstieg nicht den moralischen Abstieg rechtfertigt – und andersrum. Es gibt keine Eindeutigkeit in The Favourite, sondern stets changierende Betrachtungsweisen. Und dies ist herausfordernd, häufig urkomisch und gemessen an der Komplexität dieser drei weiblichen Figuren hochfeministisch. Ein absolut sehenswerter Film.

The FavouriteThe Favourite – Intrigen und Irrsinn

Irland / Großbritannien / USA 2018
Regie: Yorgos Lanthimos. Drehbuch: Deborah Davis, Tony McNamara
Besetzung: Olivia Colman, Emma Stone, Rachel Weisz, Nicholas Hoult, Joe Alwyn
120 Min. Kinostart Deutschland: 24. Januar 2019
Gesehen auf dem Around the World in 14 Films-Festival

culturshock-Wertung: 9/10

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