Filmkritik: The Guest
FANTASY FILMFEST NIGHTS 2015. Hörbar außer Atem, aber unermüdlich läuft ein junger Mann in der Dämmerung eine Landstraße entlang. Die Kamera richtet sich auf seine Stiefel, seinen Rücken, auf dem ein Army-Rucksack seinem zügigen Tempo entsprechend hin- und herschwingt – dann die dröhnende Titeleinblendung, blau auf schwarzem Grund: The Guest. Und schließlich die Aufnahme einer Halloween-Strohpuppe, die scheinbar einen Mittelfinger in die Luft streckt. Innerhalb einer halben Minute ist die Stimmung für Adam Wingards (You’re Next) irritierend unterhaltsamen Horrorthriller gesetzt. Und dennoch lässt sich anfangs kaum erahnen, was für einen außergewöhnlichen, einprägsamen Trip The Guest dem Zuschauer bescheren wird.
Scheinvertrauter Fremder
Zu Gesicht kriegt man den jungen Mann aus der Anfangssequenz schließlich, als Mrs. Peterson die Tür öffnet. Mit einem verschmitztem Zug um den Mund, hellblauen Augen und einem durchdringenden Blick stellt er sich als David Anderson Collins (Dan Stevens) vor – einen Kriegskameraden ihres Sohnes Caleb, der in Afghanistan gefallen ist. Mrs. Peterson bittet David in ihr Haus, lässt ihn von Caleb und dessen letzten Worten erzählen und überredet ihn schließlich zum Abendessen zu bleiben. Ihr Ehemann Spencer ist anfangs noch skeptisch diesem Fremdling gegenüber. Schließlich seien doch viele Ex-Soldaten aufgrund ihres posttraumatischen Stress-Syndroms tickende Zeitbomben, aber nach ein paar abendlichen Bierchen fasst auch er Vertrauen zu David, der jetzt gern eine Weile bei der Familie bleiben darf.
Luke (Brendan Meyer), der Teenager-Sohn der Petersons, hat zu viele eigene Probleme, um von David groß Notiz zu nehmen. Bliebe da noch Anna (Maika Monroe), die 20-jährige Tochter, die im lokalen Diner kellnert und ansonsten mit ihrem kleinkriminellen Freund um die Provinz zieht. Von Anfang an ist ihr der äußerst höfliche, allen sympathische David ein Dorn im Auge, doch niemand in ihrer Umgebung möchte ihr Misstrauen ernst nehmen.
Unwiderstehlicher (Anti-)Held
Und auch als Zuschauer weiß man lange Zeit nicht, was man von David zu halten hat, schließlich avanciert er bald zum unwiderstehlichen (Anti-)Helden des Films. So erteilt er den Typen, die dem schüchternen Luke in der Schule das Leben zur Hölle machen, bei einer Kneipenschlägerei eine handfeste Lektion. Und auf der Party, zu der ihn Anna notgedrungen mitschleppen musste, macht er sich als bierfasstragender und mit ungeahnter Coolness Joints rauchender Mädchenschwarm rasch beliebt. In wenigen, mit großartigen 80er-Synthie-Songs untermalten Szenen macht The Guest den rätselhaften Ex-Soldaten zum Publikumsliebling, für den man trotz vollends fehlenden Vertrauens unerwartete Sympathie entwickelt.
Und selbst als Annas Nachforschungen Erschreckendes zu Tage fördern und die ersten Leichen Davids Weg pflastern, verliert er keineswegs an Anziehungskraft. Ganz im Gegenteil. Regisseur Wingard kostet die schamlose Heroisierung seines Bösewichts und die damit verbundene Ästhetisierung seiner Gewaltexzesse bis zum Schluss aus. Er lässt die Wirkung seines Films geschickt zwischen Spannung und Belustigung hin- und herpendeln, während die Handlung immer wieder Abstecher ins Unerwartete wagt. Sehenswert, vom unheilschwangeren Anfang bis zum augenzwinkernden Ende, das für ein verstörtes Grinsen auf den Gesichtern der Zuschauer sorgen dürfte.
The GuestHanWay Films, USA 2015Regie: Adam Wingard. Drehbuch: Simon BarrettHauptdarsteller u.a.: Dan Stevens, Maika Monroe, Joel David Moore99 Min. Zu sehen bei den Fantasy Filmfest Nights 2015culturshock-Wertung: 7/10 |