Film

Filmkritik: The Big Sick

Dies ist keine der üblichen Geschichten, die man erwartet, wenn man ein Paar fragt, wie es zueinander fand: Er lernt sie bei seinem Stand-Up-Auftritt in einer Bar kennen, die beiden bandeln an. Sie erkrankt kurze Zeit später und wird ins künstliche Koma versetzt. Währenddessen wacht er an ihrem Bett und schwört, diese Frau zu heiraten, falls sie wieder erwacht. Den Kern ihrer ungewöhnlichen Liebesgeschichte haben der pakistanisch-amerikanische Komiker Kumail Nanjiani und seine Ehefrau Emily V. Gordimer im Drehbuch zu The Big Sick verarbeitet – einer sympathisch unvollkommenen Liebeskomödie.

Boy meets Girl(friend in a Coma)

Eine Stand-Up-Bühne in Chicago ist der anfängliche Schauplatz von The Big Sick: Hier müht sich Kumail (Kumail Nanjiani in einer leicht fiktionalisierten Version seiner selbst) Abend für Abend ab und kassiert solide Lacher für seine Erzählungen über seine pakistanische Herkunft – ein Land, nicht viel anders als die USA, außer dass dort fünfmal täglich gebetet, Cricket statt Baseball gespielt wird und die Ehen arrangiert sind. Mitten in seinem Set wird er von der begeisterten Emily (Zoe Kazan) unterbrochen, was Stand-Up-Comedians für gewöhnlich nicht sehr schätzen. Nach seinem Auftritt kommen sie an der Bar ins Gespräch, eins führt zum anderen und die beiden landen schließlich im Bett.

The Big Sick

Emily (Zoe Kazan) und Kumail (Kumail Nanjiani) | ©2017 COMATOSE INC

Weshalb aus diesem One-Night-Stand bald darauf mehr wird, vermittelt The Big Sick auf angenehm entspannte und nachvollziehbare Weise. Die beiden bringen sich und den Zuschauer zum Lachen und halten hinter dieser Kabbelei nur mit Mühe ihre große Sympathie füreinander zurück. Die Chemie, das besondere Flackern zwischen ihnen, entstanden innerhalb einer Nacht – wir nehmen es Zoe Kazans und Kumail Nanjianis realistisch-ungelenkem Spiel gern ab. Und so beginnt eine Liebesbeziehung, die keinem von beiden gerade so recht ins Leben passt. Emily will sich eigentlich voll und ganz auf ihr Psychologiestudium konzentrieren und Kumail führt ein Doppelleben, von dem sie viel zu spät erfährt.

Witze aus dem eigenen Leben

Persönliche Erfahrungen auf der Bühne, in autobiographischen Büchern, Serien und Filmen zu verarbeiten, gehört im amerikanischen Comedy-Geschäft schon lange dazu. Man denke an Private Parts, der Verfilmung des Lebens von Radiomoderator Howard Stern, oder zuletzt an Dating Queen über die einschlägigen Dating-Erlebnisse von Stand-Up-Frau Amy Schumer (verfilmt von Judd Apatow, der auch The Big Sick produzierte). In den meisten Fällen übernehmen die Komödianten selbst die Hauptrollen. In den letzten Jahren kamen zudem einige Serien und Filme von Comedy-Stars hinzu, die Minderheiten in den USA angehören und diesen gesellschaftlichen Stand auch thematisieren, etwa Chris Rock in Top Five oder Aziz Ansari in seiner Serie Master of None. Der Dialogwitz und die Situationskomik werden in diesen Fällen dazu genutzt, den Umgang mit Diskriminierung und Stereotypisierung und Konflikte mit der eigenen ethnischen und kulturellen Identität zu behandeln.

The Big Sick

Kumail (Kumail Nanjiani) mit Bruder Naveed (Adeel Akhtar) und Vater Azmat (Anupam Kher) beim Familienessen | ©2017 COMATOSE

Und obwohl Kumail Nanjiani dies anfangs ablehnte, spielen diese Themen in The Big Sick eine tragende Rolle: Kumails pakistanische Herkunft ist nicht nur Thema seines Stand-Up-Programms, sondern ein tiefgreifender Einfluss auf sein Leben. Jede Woche ist er zum Essen bei seinen Eltern zu Gast, die ihm eine neue potentielle pakistanische Ehefrau präsentieren. Er lässt dies ebenso ohne Widerspruch über sich ergehen, wie er auch vortäuscht täglich mehrfach zu beten. Er weiß, dass jeder, der sich dem Familienwillen widersetzt und außerhalb der nationalen Herkunft und/oder des muslimischen Glaubens heiratet, ausgegrenzt wird. Die Fassade des gehorsamen Sohnes erhält Kumail auch aufrecht, nachdem Emily in sein Leben getreten ist, was zum Bruch zwischen den beiden führt. Als Emily kurz darauf schwer erkrankt, in ein künstliches Koma versetzt wird, ist Kumail bereit, Entscheidungen zu treffen.

Das Glück im Unvollkommenen

Das erstaunliche an The Big Sick ist, wie unaufdringlich hier schwerwiegende Themen verhandelt werden: die Schwierigkeit interkultureller Beziehungen, Krankheit und Lebensgefahr, Ehekrisen, Rassismus. All dies findet Eingang in diese Tragikomödie, ohne dass sie dadurch überladen würde. Dies gelingt nur, weil das Drehbuch von Nanjiani und Gordimer einen feinen Balanceakt meistert und keines der Handlungselemente aufbauscht oder verkitscht. An all jenen emotionalen Stellen, an denen für gewöhnlich Hollywood-esk dick aufgetragen wird, ist The Big Sick angenehm zurückhaltend und verzichtet auf die üblichen Stimmungsuntermaler.

Deshalb verzeiht man diesem Film auch gern seine anderen Mängel, etwa dass Nanjianis Darbietung natürlich nicht mit Schauspiel-Schwergewicht Holly Hunter (die hier Emilys fahrige Mutter mimt) mithalten kann. Oder dass einige der Szenen im Stand-Up-Club nicht gelingen, weil die Nebencharaktere nicht zu Genüge ausgearbeitet sind (bedauerlich, weil diese von den überaus talentierten US-Komikern Bo Burnham und Aidy Bryant gespielt werden). The Big Sick ist keineswegs vollkommen – aber gerade diese Unvollkommenheit passt zu seinem Sujet: Inmitten von schlechtem Timing, schwierigen Umständen und vertrackten Situationen das unerwartete Glück zu finden. Dies bringt der Film aufs Sehenswerteste zum Ausdruck.

The Big SickThe Big Sick

USA 2017

Regie: Michael Showalter. Drehbuch: Emily V. Gordon, Kumail Nanjiani

Besetzung: Kumail Najiani, Zoe Kazan, Holly Hunter, Ray Romano

119 Min. Kinostart Deutschland: 16. November 2017

culturshock-Wertung: 7/10

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