Filmkritik: Nina Wu
Verstörend, intensiv und absolut fesselnd: Der taiwanische Psychothriller Nina Wu erzählt vom Missbrauchstrauma einer Schauspielerin und verliert sich weder im Aktivistischen noch im Abstrakten.
Die letzte Hoffnung?
Es ist Zeit. Seit acht Jahren harrt die Schauspielerin Nina Wu (Wu Ke-Xi) in Taipeh aus, schleppt sich von einem Vorsprechen zum nächsten und kann doch nur hier und da Auftritte in Kurzfilmen, Werbespots und als Komparsin ergattern. Ansonsten hält sie sich mit Auftritten als Cam-Girl über Wasser, für die sie aus dem bequemen Shirt ins Korsett schlüpft und ihren bekümmerten Gesichtsausdruck gegen ein seliges Lächeln eintauscht.
Fast schon erlösend könnte da der Anruf ihres Agenten Mark (Lee Lee-zen) wirken, der ihr ein Vorsprechen für einen Film mit dem absurden Titel „Spione der Liebe“ beschafft hat. Wäre da nur nicht diese explizite Sex-Szene, auf die sich Nina ungern einlassen will. „Man macht einen Film, wenn entweder die Rolle gut oder die Gage hoch ist. Diesmal ist die Rolle gut“, redet ihr Mark zu. Er lässt ihr natürlich freie Wahl, deutet aber auf vielfache Weise an, dass dies ihre letzte Chance auf eine Filmkarriere sein könnte. Nina wagt – und ergattert die Rolle. Ende gute, alles… – nein, natürlich nicht.
Feindseliges Film-Set
Taipeh mag nicht Hollywood sein, über dessen abstoßenden Umgang mit Schauspielerinnen uns spätestens seit dem Weinstein-Skandal einiges klar(er) geworden ist. Aber auch in der taiwanesischen Filmindustrie erleben Frauen Herabwürdigung und Missbrauch. So auch Wu Ke-xi, die in Nina Wu nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern hierfür auch, beruhend auf eigenen Erfahrungen, das Drehbuch schrieb. Regie führte der vielgeachtete Midi Z, in dessen Filmen Ice Poison und The Road to Mandalay sie mitspielte. Gemeinsam haben Sie einen intensiven Psychothriller erschaffen, der uns zunächst direkt in die bedrückende Atmosphäre am Filmset von „Spione der Liebe“ führt.
Der Ton des Regisseurs (Shih Ming-shuai) ist rau, der Druck hoch und Nina kommt sich bald wie eine Hochstaplerin vor, die mit ihrer Schauspielleistung konstant enttäuscht. Nervosität bei der ersten Hauptrolle in einem Spielfilm zu empfinden, dürfte normal sein. So gar nicht normal wird es aber in der Szene, in der Nina einen Nervenzusammenbruch spielen soll und dem Regisseur ihre Darbietung nicht wahnsinnig genug ist. Für das, was dann folgt, kennt man inzwischen genügend reale Beispiele: Meryl Streep, der Dustin Hoffman damals an ihrem ersten Drehtag für Kramer gegen Kramer spontan eine nicht abgesprochene Ohrfeige verpasste, um mehr Intensität aus ihr rauszulocken. Shelley Duvall, die von Regie-Ikone Stanley Kubrick für Shining über ein Jahr lang psychisch zugrunde gerichtet wurde. Oder auch Tippi Hedren, die am Filmset von Die Vögel nicht nur mit Vogelexkrementen und Verletzungen, sondern auch mit den sexuellen Zudringlichkeiten von Alfred Hitchcock zu kämpfen hatte.
Häufig wurde dieses abscheuliche Verhalten mächtiger Männer am Filmset nach dem Der-Erfolg-gibt-ihnen-Recht-Prinzip geduldet. Schließlich hätten sie auf diese Weise berauschende Performances aus den Schauspielerinnen herausgelockt. Was für diese aber eine solche Behandlung nach sich zieht, dem geht Nina Wu schonungslos auf den Grund und zeigt uns eine Protagonistin, die zunehmend mit Wahnvorstellungen und lähmenden Angstzuständen zu kämpfen hat. Und dies ist nur der Auftakt für den Horror, der nach Vollendung von „Spione der Liebe“ folgt.
Vielschichtiges Trauma
In diesen Horror führt uns Midi Z mit graduell intensivierter Spannung, die von Beginn an fesselt und beeindruckt. So werden Ninas Wahnmomente von einer verzerrten, nervenzerreißenden Geräuschkulisse umgeben, die man lange nicht einordnen kann – genauso wenig wie die Bilder aus einem Hotelflur und Visionen von einer übergriffigen Frau, die hier und da urplötzlich auftaucht. Aber wie die lange Fahrt durch einen dunklen U-Bahntunnel zu Beginn von Nina Wu suggeriert, steuert alles unausweichlich auf die Erhellung zu. Und diese betrifft den Kern des Traumas von Nina, das ihr und uns zeitgleich offenbart wird.
Kein Versteck im Abstrakten
Natürlich gab es in jüngerer Zeit einige Filme, die sich Teilaspekten des #MeToo-Phänomens widmeten, etwa der minimalistische Independent-Film The Assistant oder das Mediendrama Bombshell. Aber während diese die sexuelle Ausbeutung von Frauen in der Film- und Fernsehbranche direkt ansteuerten und anprangerten, wagt sich Nina Wu in die psychischen Tiefen eines durch solchen Missbrauch ausgelösten Traumas. Damit ist Nina Wu auch fernab der #MeToo-Thematik ein bemerkenswerter Psychothriller.
Zudem besticht Nina Wu durch die Integration von äußerst ansehnlichen Neo Noir- und Mystery-Elementen, ohne dass sich Midi Z, trotz aller Hingabe zur Filmkunst, am Schluss im Abstrakten versteckt, wie es etwa Nicolas Winding Refn in The Neon Demon tat. Nein, das lässt das geniale Drehbuch von Wu Ke-Xi nicht zu. Es gibt eine klare Auflösung zum Schluss des Films. Eine, die man wahrscheinlich lieber nicht gesehen hätte, aber auf die alles hinauslief und die all das Gesehene zugleich bedingte. Schwer zu ertragen, aber absolut sehenswert.
Nina Wu(Original: Zhuo Ren Mi Mi) culturshock-Wertung: 9/10 |
---|