Film

Filmkritik: The Neon Demon

Ein junges Mädchen aus Georgia zieht nach Los Angeles, um als Model groß rauszukommen. Ihre Schönheit fasziniert Fotografen und Designer, aber befeuert zugleich den Neid ihrer Model-Kolleginnen und das Verlangen zwielichtiger Gestalten. Was wie die hohle Story eines reißerischen Thrillers klingt, hebt Regisseur Nicolas Winding Refn (Drive, Walhalla Rising) in fantastische Horror-Höhen. The Neon Demon ist eine visuell mitreißende Reflexion über ein grenzenloses, enthemmtes Begehren nach Schönheit. Mit einem konsequenten Finale.

The Neon Demon Winding Refn Horror

Jesse (Elle Fanning) ungeschminkt | ©Koch Films GmbH

Durch den Hasenbau

Trägerin dieser unfassbaren Schönheit ist Jesse (Elle Fanning), die man auf den ersten Blick einfach für ein effektvoll aufgebrezeltes Jung-Mannequin halten könnte. In der ersten Szene liegt sie kunstblutüberströmt und mit friedvollem Gesichtsausdruck auf einer Recamière, während ein Jungfotograf sie ablichtet. Bilder für ihre Fotomappe, die sie bei einer Model-Agentur einreichen will. Als sie sich nach dem Shooting abschminkt, wird sie von der jungen Stylistin Ruby (Jena Malone) entdeckt. Und deren erster Blick weiht den Zuschauer in das seltsame Begehren ein, das Jesses Anblick in ihrer Umgebung auslöst: eine Faszination für die verheißungsvolle Unschuld, die sie mit jeder Pore ausstrahlt, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Während Jesse ihre Schönheit als Mittel zum Zweck begreift, sie gewinnbringend einsetzen will, um das schäbige Motel verlassen zu können, in dem sie ihr Dasein bis zum Durchbruch fristet, avanciert diese im Auge ihrer Betrachter zum Heilsversprechen oder zur Bedrohung. Letzteres trifft auf die erfahrenen Models Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) zu, die Ruby Jesse nach dem Shooting vorstellt. Inmitten dieser hohlwangigen, von harten Castings gestählten Frauen, die sich auf dem Damenklo eines Clubs über Sex, Lippenstifte und Schönheits-OPs unterhalten, wirkt Jesse, als wäre sie durch einen Hasenbau in eine surreale Welt gefallen, in die sie niemals hineinpassen wird. Mit wem sie schlafe, wollen die Profi-Models von ihr wissen, woraufhin Jesse nur ungelenk lügen kann.

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Begehren auf den ersten Blick: Ruby (Jena Malone) | ©Koch Films GmbH

Punkt ohne Wiederkehr

Mit Spannung verfolgt man anschließend mit, wie Jesse fortan diese seltsame Welt, in der Schönheit als höchste Währung bezeichnet wird, durchwandert, erste Erfolge bei der Casting-Fleischbeschau feiert, noch mehr Neid und Begehren auf sich zieht, das sich irgendwann unheilvoll entladen muss. Der Punkt ohne Wiederkehr ist erreicht, als sie sich selbst ihrer Macht bewusst wird. Winding Refn fängt diesen Moment der Bewusstseinswerdung in einer glamourösen Laufsteg-Szene ein, in der Jesses Profil prismenartig gespiegelt wird, während die kalten Synthesizer-Klänge von Cliff Martinez ertönen, der schon zu den Soundtracks (und zum Erfolg) von Drive und Only God Forgives beigetragen hat. Fortan weiß Jesse um ihren Marktwert. Ab diesem Moment ist klar, dass ihre Geschichte nur ins Grauenhafte umschlagen kann.

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Durchbruch auf dem Laufsteg | ©Koch Films GmbH

Grausiges Finale

Das Finale von The Neon Demon ist dann auch so entsetzlich wie konsequent. Windin Refn hat vorher genau dargelegt, in was für einer Welt wir uns hier befinden: „Schönheit ist nicht alles – sie ist das einzige“, lässt er einen blasierten Designer an einer Stelle formulieren. Sie macht in der dargestellten Welt den Wert eines Lebens aus. Und dabei zählt nur die Schönheit, die nicht übertroffen werden kann. Kein Wunder also, wenn sich zum Schluss jeder ein Stück von Jesses Schönheit zu eigen machen will. Ein Wunder hingegen, dass man The Neon Demon trotz dieser Grausigkeit beschwingt verlässt. Es ist einfach ein zu stimmiges visuelles Erlebnis, als dass man Winding Refn seine erneute Ausuferung zum Schluss übel nehmen kann.

The Neon Demon Winding Refn HorrorThe Neon Demon

Frankreich/Dänemark/USA 2016

Regie: Nicolas Winding Refn.

Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham

Besetzung: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote

117 Min. Deutscher Kinostart: 23. Juni 2016

culturshock-Wertung: 8/10

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