Filmkritik: Mein 40-jähriges Ich
Fast vierzig und nah an der Verbitterung: Radha Blanks Comedy-Drama Mein 40-jähriges Ich ist aufrichtig, originell und macht Hoffnung ohne auf seichte Art inspirieren zu wollen.
Kurz vor 40
Was tun, wenn das Leben bitterer Ernst geworden zu sein scheint? Die kleinen Momente bewusst und dankbar wahrnehmen, denkt sich wohl Radha, die Protagonistin in Mein 40-jähriges Ich. Etwa den morgendlichen Blick aus dem Fenster in die friedliche, noch ruhende Nachbarschaft von Harlem, New York – bis man einen Obdachlosen erblickt, der mitten auf dem Bürgersteig sein Geschäft verrichtet. Oder den Nachbarn nachts belustigt beim lauten Sex zuhören – bis der gerade noch laut stöhnende Mann unerwartet in Tränen ausbricht. Diese ersten Szenen von Mein 40-jähriges Ich fassen in etwa zusammen, wie sich Theaterautorin Radha fühlt, die seit rund zehn Jahren kein Theaterstück mehr auf die Bühne gebracht, vor einem Jahr ihre Mutter verloren und mit Knie- und Gewichtsproblemen zu kämpfen hat. So ist das Leben mit (fast) vierzig und ab hier geht es nur noch bergab. Oder doch nicht?
Authentisch und offensiv
Was wie der Beginn einer etwas unverblümteren, aber dennoch seichten Inspirationskomödie anmuten mag, ist das äußerst aufrichtige und immer wieder urkomische One-Woman-Projekt von Radha Blank. Blank war selbst einige Zeit Theaterautorin und schrieb zuletzt für Serienproduktionen wie Empire und Nola Darling. Für Mein 40-jähriges Ich, dessen Originaltitel The Forty-Year-Old Version auf eine (alberne, aber von mir geschätzte) Apatow-Komödie anspielt, schrieb sie nicht nur das Drehbuch, sondern nahm auch vor und hinter der Kamera Platz.
Herausgekommen ist ein knapp zweistündiger Schwarz-Weiß-Film, dessen wacklige Kamera und unvermittelten Schnitte ihn fast dokumentarisch wirken lassen. Und obwohl Mein 40-jähriges Ich reine, höchstens autobiographisch gefärbte Fiktion ist, merkt man dieser eine gewisse Hintergründigkeit an. Vor allem, wenn es um Radhas Erlebnisse in der Theaterszene New Yorks und um den Komplex aus künstlerischem Anspruch und Kommerz geht.
Kunst, Kommerz und kreative Ursprünge
So seziert Blanks satirischer Blick ein fast ausnahmslos von Weißen betriebenes New Yorker Theatergewerbe, dessen ‚woke‘ Offenheit wundersam bekloppte Blüten trägt. Musical-Adaptionen ernster Stoffe („Ich brauche noch jemanden für mein Harriet Tubman-Musical!“) und Remakes mit Geschlechterumkehr („Magnolien aus Stahl“ mit reiner Männerbesetzung oder „12 Angry WoMen“) sind der letzte Schrei am Broadway. Und natürlich die Förderung von ‚Black Theatre‘ – dies aber auf eine Weise, die Radha zuwider ist. Es entstehen „Poverty Porn“-Stücke, die im schlimmsten Fall von weißen TheaterregisseurInnen auf die Bühne gebracht werden für ein weißes Publikum, das sich an schwarzem Leid ergötzt.
Mein 40-jähriges Ich klagt dieses Theatergewerbe schonungslos an, bleibt aber dennoch nah an seiner Protagonistin, deren Krise noch von vielen anderen, persönlichen Faktoren bedingt ist. Es sind nicht nur die eng abgesteckten Grenzen des Theatermarktes oder diejenigen des biologischen Alters, die Radha zu schaffen machen. Es sind vor allem die Grenzen, die sie ihrer eigenen Kreativität auferlegt hat. Als sie nach einem Nervenzusammenbruch (es wird nicht der letzte in diesem Film sein) plötzlich die wahnwitzige Idee hat, sich wie einst in ihrer Jugend wieder dem Hip-Hop zuzuwenden, reagiert ihre Umgebung irritiert, amüsiert und schließlich peinlich berührt. Es ist nicht der wundersame Anfang einer unfassbar inspirierenden Geschichte. Doch auch noch lange nicht ihr Ende.
Die Endlosschleifen bis zum Ausweg
Mein 40-jähriges Ich ist sowohl in seinem Humor als auch im Umgang mit seiner Protagonistin schonungslos und aufrichtig. Wir sehen Radha bis zum Schluss viele Schleifen drehen, bis sich eine neue Richtung für sie andeutet – und auch diese ist vage. Dass sich ihr Schmerz nicht einfach in einem grandiosen Finale und in Wohlgefallen auflöst, mag ungewohnt sein und, ja, zum Schluss merkt man dem Film auch seine Überlänge an. Aber dieses ewige Hadern, Schleifendrehen, nach Abkürzungen suchen, ist um weites lebensechter als das, was uns Hollywood in seinen Komödien über Lebenskrisen so gern andreht. Und lustiger ist es auch, denn der Humor bricht sich hier stets seinen Weg aus einer Verbitterung frei, die sich zum Schluss dennoch in etwas Schönes und Hoffnungsvolles wandelt. Bitte im Original gucken.
Mein 40-jähriges Ich(Original: The Forty-Year-Old Version) culturshock-Wertung: 8/10 |
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