Filmkritik: All Eyez on Me
Lang genug sind die 90er Jahre inzwischen her, dass sie ein Revival erleben und ihre Ikonen in Biopics heraufbeschworen werden. Dennoch scheint es gewagt, das Leben des amerikanischen Rappers Tupac Shakur zu verfilmen, der 1996 an den Folgen mehrerer Schusswunden starb.
Zu präsent ist Tupac noch im kulturellen Gedächtnis, seine Musik wird immer noch gern gehört, sein markantes Konterfei auf T-Shirts gedruckt und auf Häuserwände rund um die Welt gesprüht. Dies und die weiterhin kursierenden Gerüchte um einen vorgetäuschten Tod zeigen, dass Tupacs Ableben so wenig verwunden wie akzeptiert bleibt. Ein Zustand, an dem das allzu plump geratene biografische Drama All Eyez On Me nichts ändern wird. Zum Glück.
Schon im Mutterleib ein Revolutionär
Tupac (Demetrius Shipp Jr.) erzähle hier selbst seine Geschichte, suggeriert All Eyez On Me zu Beginn. Dem Zuschauer wird zum mühelosen Einstieg eine Journalistenfigur (Hill Harper) an die Seite gestellt, die Tupac während dessen neunmonatigem Gefängnisaufenthalt im Jahr 1995 interviewt. Relativ überganglos katapultiert uns der Film daraufhin ins Jahr 1971, als Tupacs Mutter Afeni Shakur (Danai Gurira), Black Panther-Aktivistin, hochschwanger eine feurige Stellungnahme zu ihrem soeben gewonnenen Prozess gibt und das „rassistisch-faschistisch-imperialistische“ Establishment angreift. Von Station zu Station hetzt der Film fortan und zeigt einen in instabilen Verhältnissen aufwachsenden Jungen, dem bei jeder Gelegenheit eingebläut wird, sich für das Gemeinwohl engagieren zu müssen. Viel Zeit wird der Film auch im weiteren Verlauf und durchaus berechtigt auf diese Indoktrination Tupacs verwenden, aber dabei stets an der Oberfläche bleiben. Zur Wirkung all der pathetisch vorgetragenen Reden, zur inneren Reflexion Tupacs dringt All Eyez On Me nie vor.
Atemloses Vorbeirauschen
Dies ist der Atemlosigkeit geschuldet, mit der Tupacs Lebensverlauf hier nachgezeichnet wird. Mehrere Umzüge in seiner Jugend, seine familiären Probleme, sein künstlerisches Erwachen, seine Freundschaft zu Jada Pinkett (Kat Graham), seine Konfrontation mit Rassengewalt und und und. An all dem rauschen wir vorbei, ohne auf die Details oder gar das große Ganze einen näheren Blick werfen zu können. Und so ist man als Zuschauer schon gar nicht mehr verwundert, dass All Eyez on Me Tupacs Hinwendung zum Hip Hop und Aufstieg zum Rapper innerhalb von zwei Minuten vollzieht und ihn uns in null Komma nichts als Künstler mit Plattenvertrag unterjubelt. Es war wohl alles einfacher in den 90ern.
Aufgrund dieser Handlungsdichte merkt man jeder Szene an, wie erleichtert die Drehbuchautoren gewesen sein müssen, diesen und jenen Aspekt damit abhaken und zum nächsten voranschreiten zu können. So werden die sozialkritischen Aspekte seiner Musik in einer Unterhaltung zwischen Tupac und seinen Plattenbossen abgehandelt – und danach nie wieder angerührt.
Mehr Abbild als Porträt
Was für eine Chance sich die Produzenten von All Eyez On Me durch diesen Mangel an Tiefe und Fokus entgehen lassen, lässt sich erahnen, als wir zur Rahmenhandlung zurückkehren. Auf Tupacs Entlassung aus dem Gefängnis folgt der Höhepunkt seiner Karriere. Wenn die ersten verzerrten Klänge von California Love in Begleitung der eleganten Beats von Dr. Dre ertönen, Tupac im offenen Versace-Hemd und massigen Goldschmuck aus einem Flugzeug steigt und seine echte Stimme erklingt, sind für einen kurzen Moment die Mankos dieses Films vergessen. Und Regisseur Benny Boom kann seine weitreichende Musikvideo-Erfahrung wirkungsvoll zum Einsatz bringen.
Doch genau hier liegt auch das Problem dieses und so einiger anderer Biopics: Wir betrachten ein Porträt, das den Porträtierten abbildet, ihn aber nicht trifft. Mithilfe einer beachtenswerten Besetzung und einiger 90er-Style-Revival-Momente erreicht der Film hin und wieder, dass man diese Diskrepanz zwischen Ähnlichkeit und Identifikation vergisst. Aber das Gesamtbild bleibt unstimmig und flüchtig – im Gegensatz zur Vorlage.
All Eyez On MeUSA 2017Regie: Benny Boom. Drehbuch: Jeremy Haft, Eddie Gonzalez, Steven BagatourianBesetzung: Demetrius Shipp Jr., Danai Gurira, Kat Graham, Hill Harper140 Min. Kinostart Deutschland: 15. Juni 2017culturshock-Wertung: 4/10 |