Film

Filmkritik: Isle of Dogs

BERLINALE 2018 – WETTBEWERB: „Wer sind wir und wer wollen wir sein?“ Die zentrale Frage von Wes Andersons Isle of Dogs, dem Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale, mag nicht neu sein, aber angesichts des Meinungsextremismus heutiger Zeiten hochaktuell. In seinem gestalterisch bis ins letzte Detail ausgetüftelten Stop-Motion-Abenteuer erschafft Anderson eine nachdenkliche Parabel über das Zusammenbringen von Realität und Idealen im Menschsein.

Das Ende der Hunde

Nach einem mythologischen Tableau, das das besondere Band zwischen Japanern und Hunden verdeutlicht, versetzt uns Isle of Dogs in eine dystopische Zukunft, in der alle Hunde Japans um ihr Leben bangen müssen. Bürgermeister Kobayashi, eine breitschultrige, faschistisch anmutende Figur mit Silbersträhne und konstant nach unten gezogenen Mundwinkeln, reagiert resolut auf die grassierende Hundegrippe: Alle Hunde sollen auf die benachbarte Insel Trash Island verbannt werden, in der es ansonsten nichts außer Müll und stillgelegten Versuchslaboren gibt. Der erste Hund, der dran glauben muss, ist Spots, der Beschützer von Kobayashis Neffen und Ziehsohn Atari. Der Zwölfjährige ist so bestürzt über das Schicksal seines Hundes, dass er bald darauf ein kleines Flugzeug kapert, um Spots zu retten.

Isle of Dogs

Rex und die Alpha-Hunde auf Trash Island | © 2017 Twentieth Century Fox

Was in seinen Grundzügen nach einer klassischen Heldengeschichte klingt, verlagert Anderson mit einer geschickten Perspektivverengung ins Unerwartete. Die Worte der japanischen Charaktere wurden im Original japanisch synchronisiert und nur vereinzelt mit Untertiteln versehen, während wir die Hunde im Englischen vernehmen. Sie wurden von bekannten Schauspielern wie Bryan Cranston, Edward Norton und Scarlett Johansson synchronisiert. Noch bevor der kleine Atari seine Rettungsaktion antritt, rücken also die Hunde ins Zentrum, allen voran ein auf Trash Island gestrandetes Rudel aus Mischlingshunden mit Alpha-Namen: Rex, Chief, King, Duke und Boss. Nachdem sie auf den verletzten Atari treffen, stimmen die Alpha-Hunde mehrheitlich dafür, ihm bei seiner Suche nach Spots zu helfen. Zum Leidwesen von Chief, eigentlich ein Streuner und Einzelgänger, der wenig von Gehorsam im Allgemeinen und insbesondere gegenüber Menschen hält.

Dies ist der Auftakt für eine witzige, warmherzige Erzählung über Freundschaft und Loyalität, die sich aber sehr weit verzweigt. Es wird zwischen dem Hundeleben auf Trash Island und den politischen Intrigen in Japan hin- und hergeschwenkt. Und immer wieder treten neue Figuren aufs Parkett, etwa die amerikanische Pro-Hund-Aktivistin Tracy Walker, die einer Verschwörung auf der Spur ist oder die Schauhündin Nutmeg, in die sich Chief verliebt. Die Handlungsloopings zum politischen Szenario sowie die längeren Flashbacks und kurzen Rückgriffe zur Backstory der Hauptcharaktere drohen Isle of Dogs zwischenzeitlich zu überfrachten. Doch der ungewöhnliche, von Alexandre Desplat komponierte Score erhält das Zuschauerinteresse auch während der ein oder anderen Länge aufrecht: Es ist eine nach vorne preschende, zeremoniell-martialisch klingende Mischung aus japanischen Taiko-Trommeln, Klarinetten- und Saxophon-Klängen und trägt viel zur fesselnden Qualität von Isle of Dogs bei.

Isle of Dogs

Die Pro-Hund-Aktivisten | © 2017 Twentieth Century Fox

Illusion, Realität und Ideal

Schließlich schafft es Anderson mit seiner Hunde-Dystopie aber vor allem, sich tiefergehend mit (menschlicher) Identität auseinanderzusetzen. Diese setzt sich in Isle of Dogs aus drei Aspekten zusammen: der Illusion (wer wir glauben zu sein), der Realität (wer wir sind), dem Ideal (was wir sein wollen). Eine Identitäts-Triade, die an den Hauptfiguren demonstriert wird: So verfügen Chief und Atari über eine ihnen nur teilweise bekannte oder bewusste Backstory und wachsen zum Ende hin auf unerwartete Weise über sich hinaus.

„Wer sind wir und wer wollen wir sein?“ ist die gegen Ende explizit formulierte Frage des Films. Je näher die Antworten auf diese beiden Fragen beieinander liegen, je kleiner die Distanz zwischen Realität und Ideal, desto besser fällt die Zukunft der Menschheit (und der Hunde) aus, scheint die Botschaft von Isle of Dogs zu sein. Wie viel Bestand diese These hat, darüber lässt sich streiten. Fest steht aber, dass die Distanz zwischen Ideal und Realität vom Film Isle of Dogs schlussendlich klein ausfällt: Ein großartiger Film – und für dieses Urteil muss man weder ein ausgesprochener Wes Anderson- noch Hunde-Fan sein.

Isle of DogsIsle of Dogs – Ataris Reise

Animationsfilm. USA, 2018

Regie & Drehbuch: Wes Anderson

Synchronstimmen (Original): Bryan Cranston, Koyu Rankin, Edward Norton, Liev Schreiber, Greta Gerwig, Bill Murray, Jeff Goldblum, Bob Balaban, Scarlett Johansson, Courtney B. Vance

101 Min. Kinostart Deutschland: 3. Mai 2018

culturshock-Wertung: 7/10

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