Film

Filmkritik: Hunt for the Wilderpeople

DOWN UNDER BERLIN. Vandalismus, Zündeleien, Diebstahl, Herumlungern, Weglaufen: Paula von der Kinderfürsorge macht den Faulkners, einem älteren Farmer-Ehepaar, von Anfang an klar, was für ein „Bad Egg“ sie in ihrem zwölfjährigen Pflegekind vorfinden werden. Als Ricky (Julian Dennison) dann aus dem Auto steigt, erblicken wir einen molligen Jungen, der mit mühsam unbeeindrucktem Blick seine neue Umgebung im ländlichen Neuseeland erkundet. Auch die Insignien pubertärer Coolness (Basecap, Hoodie, markenbewusst gewählte Turnschuhe) können keinen vernünftigen Menschen davon überzeugen, dass wir es hier mit echter Street Credibility zu tun haben.

Während seine neue Pflegemutter Belle (Rima Te Wiata) hin und weg ist von ihrem Schützling, wahrt ihr Mann Hec (Sam Neill) – ein durchgehend mürrisch dreinblickender Buschmann – Distanz zu Ricky. Was wie der Auftakt zu einem kitschigen Sozialdrama wirken kann, ist in Taika Waititis Hunt for the Wilderpeople nur die amüsante Ouvertüre zu einem spektakulären Flucht-Abenteuer, das zum Abschluss des Down Under Berlin für durchgehendes Gelächter sorgte. Und ein wenig Rührung.

Flucht in die Natur

Nach anfänglichen Fluchtversuchen, die ihn in der ländlichen Einöde nicht weit bringen, findet sich Ricky langsam in seiner neuen Pflegefamilie ein und fasst Vertrauen zu Belle. Diese nimmt von seiner Gangster-Maskerade keine Notiz, bringt ihm stattdessen Schießen bei, legt ihm für die kalten Nächte eine Wärmflasche ins Bett und lässt ihn mit ihrer gut gelaunten, zupackenden Art jeden Frust über die Vergangenheit allmählich vergessen. Da stört es Ricky auch nicht weiter, dass Hec die meiste Zeit von ihm in Ruhe gelassen werden will. Doch leider hält Rickys neues Familienglück nicht lang: Kurz nach seinem dreizehnten Geburtstag stirbt Belle unerwartet.

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Gangsterkind vs. Buschmann: Ricky (Julian Dennison) und Hec (Sam Neill)

Als sich bald darauf die Kinderfürsorge anmeldet, macht Hec Ricky klar, dass es Belles alleinige Idee war, ein Kind bei sich aufzunehmen und er ihn nicht weiter versorgen könne oder wolle. Das will Ricky nicht akzeptieren und beschließt, vor der Ankunft der Behörden, in den neuseeländischen Busch auszureißen. Ausgerüstet ist er lediglich mit wenigen Vorräten, einem Gewehr und seinem Hund Tupac, den ihm Belle zum dreizehnten Geburtstag geschenkt hat.

Wieder kommt er nicht weit. Hec findet ihn und nach einigen Diskussionen beschließen die beiden, fürs erste in der Natur zu bleiben, sich von Wild zu ernähren und sich vor den Behörden zu verstecken. Sie haben dabei nicht mit Paula von der Kinderfürsorge gerechnet, die die Jagd auf die beiden Gesetzlosen ernster nimmt als Tommy Lee Jones in Auf der Flucht. Es beginnt eine Verfolgungsjagd sondergleichen, in der Ricky und Hec bald als ‚Wilderpeople‘ Ruhm erlangen, Haikus gedichtet und Tupacs Weisheiten zum Gangsterleben zitiert werden.

Mit Absurdität gegen die Tränen

Wer die vorangegangen Filme von Taika Waititi (Boy, What we do in the Shadows) kennt, wird sich ungefähr die Qualität des hier versprühten Humors vorstellen können: jede Menge Dialogwitze, Situationskomik, skurrile Charaktere. Mit seinem ironischen Dreh und der Ablehnung jeglichen Kitsches ist Waititi eine zeitgemäße, aber sich niemals anbiedernde Romanverfilmung gelungen. Dass er dabei den lakonischen Ton des in Neuseeland sehr geschätzten Autors Barry Crump mit jeder Menge Komik angereichert hat, hat ihm dort keiner übel genommen, ganz im Gegenteil: Hunt for the Wilderpeople kann den bislang erfolgreichsten Kinostart in Neuseeland für sich verbuchen.

Und auch andernorts sollte Waititis Film für Begeisterung sorgen, denn sein Hang zur Überzeichnung und zur vollkommenen Ausreizung von abwegigen Dialogen fügt sich sehr gut in den ernsten Hintergrund von Hunt for the Wilderpeople ein. Waititi nimmt in dieser Geschichte um ein ungewolltes Kind das Dramatische wahr, setzt ihm aber so lange das Absurde entgegen, bis letzteres gewinnt. Und bis wir ein formvollendetes Happy End haben, das nach all der Komik das Herz erwärmt. Ein Feel-Good-Movie, an dem man sich mal wirklich erfreuen kann.

Wilderpeople Taika Waititi NeuseelandHunt for the Wilderpeople

Neuseeland 2016

Regie und Drehbuch: Taika Waititi

Nach dem Roman Wild Pork and Watercress (1986) von Barry Crump

Besetzung: Sam Neill, Julian Dennison, Rima Te Wiata

93 Min. Gesehen auf dem Down Under Berlin

culturshock-Wertung: 7/10

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