Film

Filmkritik: Als wir träumten

Roh, unmittelbar und dabei ausgesprochen gefühlvoll (manche nannten es auch pathetisch) kam Clemens Meyers Debütroman Als wir träumten 2006 daher und schlug eine bemerkenswerte Kerbe in die damals vorherrschende deutsche Befindlichkeitsliteratur. Meyer widmete sich darin der Leipziger Jugend der Nachwendezeit, mit all ihrer hoffnungsvollen Euphorie im Angesicht des unbarmherzig herannahenden Scheiterns. Andreas Dresen hat diesen Roman nun verfilmt und setzt dieses Gefühl mit einer grandiosen Besetzung und episodischer Erzählweise mitreißend in Szene.

Tanzende Erinnerungen

Es war einmal, es war großartig, und nun ist es vorbei. Dieses Gefühl, das Clemens Meyer gleich zu Beginn seines Romans Als wir träumten dem Leser quasi ins Gesicht schlägt, ist auch das erste was Andreas Dresen in seiner Filmadaption angeht: „Ich kenne einen Kinderreim. Ich summe ihn vor mich hin, wenn alles anfängt, in meinem Kopf verrückt zu spielen. Wenn in meinem Kopf die Erinnerungen tanzen, die an die Jahre, in denen alles anders wurde.“

Dies erzählt Danis (Merlin Rose) Stimme aus dem Off, bevor er seinen frisch aus der Entzugsklinik ausgebrochenen Kumpel Mark (Joel Basman) nach längerer Suche in einer verlassenen Gebäuderuine in Leipzig findet. Mark ist in schlechter Verfassung, kommt gegen seine Heroinabhängigkeit nicht an und Dani bleibt nichts, als sich in diese tanzenden Erinnerungen zu vertiefen. Sie reichen zurück bis in die Kindertage in der DDR, als die fünf Leipziger Freunde Dani, Mark, Rico, Paul und Pitbull noch brave Junge Pioniere waren, bis in ihre Jahre als ungezügelte Nachwende-Teenager.

Als wir träumten Andreas Dresen

Fünf Freunde: Pitbull (Marcel Heuperman), Rico (Julius Nitschkoff), Paul (Frederic Haselon), Dani (Merlin Rose), Mark (Joel Basman) | ©Rommel Film/Pandora Film/Foto: Peter Hartwig

West-Bier, Neonazis und immer wieder Techno

In diesen Jahren halten sich diese fünf für die Größten, stehlen Schnaps und West-Bier aus den nun reich gefüllten Verkaufsregalen, knacken in der Nacht Autos auf, um sie zu Schrott zu fahren und ziehen grölend durch die Straßen. Dabei sind die Jungs, die öfter mal auf der Polizeiwache landen (hier hat auch Clemens Meyer einen charmanten Cameo-Auftritt), eher euphorisch als ziellos. Rico (Julius Nitschkoff) träumt davon, Boxer zu werden und hat durchaus gute Chancen. Schließlich war das Training seine oberste Priorität, kurz nachdem sein Vater die Familie für eine Liebschaft in Berlin verlassen hatte. Mark fährt wie der Rest der Truppe auf Techno ab und versucht sich als DJ, während Pitbull gar von einer eigenen Diskothek träumt. Und Dani will eigentlich nur bei dem Mädchen landen, das er hartnäckig weiter „Sternchen“ nennt, nachdem alle anderen damit aufgehört haben.

Gebannt folgt man den fünf Freunden durch die dem Roman entnommenen Schlüsselepisoden, erlebt die euphorische Zerstörungswut mit, die oftmals verlorenen Schlägereien mit Neonazis und schließlich sogar die chaotische Gründung ihres Underground-Techno-Clubs, der sie für ganz kurze Zeit tatsächlich zu den „Größten“ macht. Dies alles ist von Andreas Dresen rasant gefilmt, von den Jungschauspielern intensiv gespielt, enthält sehr viele witzige Momente und reißt im Einklang mit dem Soundtrack einfach mit.

Doch nach und nach schleicht sich in diese Hochstimmung das nüchterne Erwachen ein. Ricos Boxerkarriere scheitert, Mark wird drogenabhängig, Pitbull zum Dealer und Dani muss feststellen, dass sein Sternchen anscheinend jedem zugeneigt ist, nur nicht ihm. Unaufhaltsam bewegen sich die Freunde auf eine trotz Wende nicht mehr so grenzenlos erscheinende Zeit zu, und es scheint fast so, als hätten sie es in ihrer Euphorie schon geahnt. Schließlich werden sie permanent mit einigen nach dem Untergang der DDR gescheiterten Existenzen konfrontiert.

Der Kater danach

Am Ende sind von den fünf Freunden nur noch wenige übrig und nicht mehr gut aufeinander zu sprechen. Die Party ist eindeutig vorbei, ihr Underground-Club längst geschlossen und selbst das Schwelgen in gemeinsamen Erinnerungen führt sie nicht mehr zusammen. Und doch – und das ist die große Stärke von Dresens Inszenierung – triumphiert schließlich mit dem Abspann der zärtlich-nostalgische Blick auf diese wenigen Jahre gelebten Rausches über jegliche Trauer und Bitterkeit, die sich im Nachhinein bei den Figuren einstellen. Als wir träumten huldigt damit nicht nur dem kurz empfundenen Glück der Nachwendejugend, sondern der bittersüßen Vergänglichkeit der Jugend allerorts und jederzeit. Sehenswert.

Als wir träumten Andreas DresenAls wir träumten

Rommel Film, Deutschland 2015

Regie: Andreas Dresen.

Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase

Nach dem Roman von Clemens Meyer

Besetzung: Merlin Rose, Joel Basman, Julius Nitschkoff, Frederic Haselon, Marcel Heuperman, Ruby O. Fee

117 Min. Dt. Filmstart: 26. Februar 2015

culturshock-Wertung: 8/10

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