Filmkritik: Der schwarze Diamant (Uncut Gems)
Mit ihrer Tragikomödie Der schwarze Diamant (Uncut Gems) bekennen sich die Safdie-Brüder zur Schönheit des Makels und erzählen auf unnachahmliche Weise von schwankender Wertschätzung.
Ein Opal, sie zu knechten
„Man sagt, man kann das ganze Universum in Opalen sehen, weil sie so alt sind“, heißt es an einer Stelle von Uncut Gems beziehungsweise Der schwarze Diamant (obwohl hier schwarze Diamanten keinerlei Rolle spielen). Und was sich vor unseren Augen und in unseren Ohren abspielt, als zwei äthiopische Minenarbeiter im Herbst 2010 in die glitzernden Sprenkel des gerade abgebauten Steinbrockens blicken, ist hypnotisierend. Bis dieser Blick uns direkt in die Eingeweide von Howard Ratner (Adam Sandler) führt, der sich im Jahr 2012 einer Darmspiegelung unterzieht. Die Regiebrüder Josh und Benny Safdie, 2017 bekannt geworden mit ihrem Film Good Times, wissen, wie sie einen Zeitsprung und die zentralen Themen ihres Films gleich zu Beginn setzen.
Denn was dieser Opal tatsächlich wert ist, ob er Glück oder Unglück bringt, ist so uneindeutig wie sein oszillierendes Farbenspiel. 17 Monate hat der Juwelier Howard jedenfalls auf sein Ankommen im New Yorker Diamond District gewartet, in der Hoffnung, dass dieser Stein ihm einen Millionenbetrag einbringen kann. Im professionellen Basketballspieler Kevin Garnett hat er sogar schon einen potenziellen Käufer gefunden. Im angestaubten Juweliergeschäft von Howard erliegt Garnett dem Blick in den Opal und verspricht sich von ihm Glück bei seinen nächsten Spielen. Doch Howard, der sich im Verlauf von Uncut Gems (ich bleibe nun beim Originaltitel) mehrfach dem Risiko statt dem sicheren Gewinn zuwendet, spekuliert. Der Opal soll in den nächsten Tagen versteigert werden. Garnett erhält ihn trotzdem als Leihgabe – der Beginn eines desaströsen Wochenendes für Howard.
Alles oder Nichts
Es ist quasi unmöglich, sich dem Bann dieser einleitenden Sequenz von Uncut Gems zu entziehen. Die Szenen fließen mühelos ineinander über, vom Chaos in der Welo-Mine in Äthiopien zum gehetzten Dasein von Howard in New York. Unterlegt ist das ganze von ungewöhnlich-sphärischen Synthie-Klängen des Soundtrack-Komponisten Daniel Lopatin. Der ungewöhnliche Mix aus elektronischen Melodien, feierlichen Chören und jazzigen Abschweifungen überlagert zum Teil das bunte Treiben in Howards Juweliergeschäft. In diesem unseriös wirkenden, blassrosé ausgekleideten Laden finden sich für gewöhnlich Rapper ein, um massive Klunker zu erstehen. Den Kontakt stellt meist Howards Geschäftskollege Demany (Lakeith Stanfield) her. Doch ihm und Howard funken inzwischen zwei Schlägertypen dazwischen, die sich immer öfter im Laden blicken lassen.
Der Grund für ihre Präsenz: Howard ist hochverschuldet bei seinem Schwager Arno (Eric Bogosian). Mehrfach sehen wir, dass es für Howard kein Problem wäre, den sechsstelligen Betrag zu beschaffen und Arno zurückzuzahlen. Doch er spekuliert lieber, sichert seinem Schwager die baldige Rückzahlung zu und setzt dann das Geld bei Spielwetten ein. Man kann Howard als Spielsüchtigen sehen, doch Uncut Gems stellt ihn als im dichten Treiben New Yorks umherhetzenden Glücksritter dar.
Seine Jagd auf den lebensverändernden Gewinn führt ihn vom Juweliergeschäft zum Pfandbüro zum Wetthändler, wobei ihm die Schläger dicht auf den Fersen sind. Und dann in sein privates Chaos: Howard ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Die Familie ist Teil der jüdischen Gemeinschaft im Diamond District und an diesem Wochenende steht das Pessach-Fest an. Doch die Scheidung von seiner Frau Dinah (Idina Menzel) ist schon beschlossene Sache. Howard, dessen Midlife-Crisis sich an seinem gefärbten Haar, den Brillies im Ohr und den bemüht freshen Outfits ablesen lässt, hat eine Affäre mit seiner Angestellten Julia (Julia Fox).
Die Schwankungen der Wertschätzung
Uncut Gems ist eine nervenaufreibende Desaster-Komödie, in der wir mit dem Protagonisten durch unzählige Stationen hetzen, von interessanten Randfiguren belagert werden und Howard als sehr fehlbaren, aber dennoch liebenswerten Charakter kennenlernen. Adam Sandler liefert hier wirklich eine Glanzleistung ab, wie wir sie seit seinem Auftritt in Paul Thomas Andersons Punch Drunk Love nicht mehr erlebt haben. Und doch haben die Safdie-Brüder ihn wahrscheinlich gerade wegen seines Rufs als unseriöser, der dumpfen Komödie zugewandter Schauspieler gecastet. Es trägt zum Spiel mit den Gegensätzlichkeiten, dem ständigen Oszilieren von Uncut Gems bei. Was ist Schund, was ist kostbar und wer bestimmt dies eigentlich? Uncut Gems stellt diese Fragen nicht nur im Hinblick auf den Juwelenhandel, in dem die Wertbestimmung mitunter abstrusen Marktbedingungen unterliegt.
Nein, in dieser gehetzten Erzählung geht es vor allem um die Wertschätzung von Menschen, die ebenfalls ständigen Schwankungen ausgesetzt ist. Wir sehen das zum einen exemplifiziert an den beiden Cameo-Auftritten in Uncut Gems: Kevin Garnett, der zu Spielzeiten bei den Celtics je nach Leistung in die Höhe gehoben oder als Versager abgestempelt wurde. Und Popstar The Weeknd, der 2012 noch kurz vorm internationalen Durchbruch steht und den schon die ersten Profiteure umgarnen. Zum anderen sehen wir das an Howard, der seine Mitmenschen konstant falsch einschätzt, den Loyalen unter ihnen nicht die entsprechende Wertschätzung entgegenbringt, sich auf die Falschen verlässt und die Skrupellosen verkennt, was ihm zum Verhängnis wird. Und wir hören dies schließlich in einem Abspannsong von Gigi D‘Agostino, den viele für Eurotrash halten, aber der sich hier (wie schon in Die Maske) überraschend schön einfügt.
Die Schönheit des Ungeschliffenen
Dies alles setzen Josh und Benny Safdie in ein bewusst makelbetonendes Licht. Ihr zum Teil auf 35mm gedrehter Film wurde in der Postproduktion farblich so angereichert, dass er von einem blau-schwarzen Schimmer umgeben ist, der sich mitunter sehr körnig darstellt. In ihrer lesenswerten Analyse im Filmmaker Magazine sieht Regisseurin Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli darin ein explizites Spiel mit Zelluloid-Nostalgie, wie es nur durch gegenwärtige technische Möglichkeiten erreicht werden kann. Doch diese Spielerei ist nicht nur ein Kopfnicken in Richtung des Kinos der 70er und 80er. Es ist die konsequente und kompromisslose Umsetzung einer Vision von der Schönheit des Ungeschliffenen, die Uncut Gems zugrunde liegt. Eine Schönheit, die die Oscar-Akademie verkennen mag, aber die diesen Film unvergessen machen wird.
Der schwarze Diamant(Original: Uncut Gems) Erschienen auf Netflix – Deutschland: 31. Januar 2020 culturshock-Wertung: 10/10 |
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