Filmkritik: Knives Out
Als charmante Hommage an die Detektivgeschichten Agatha Christies kommt Rian Johnsons Krimi-Komödie Knives Out auf den ersten Blick daher. Zwar spielt der Whodunit-Plot in der amerikanischen Gegenwart. Aber das altehrwürdig erscheinende Setting in einem stattlichen Backsteingebäude, die gelblich-warme Farbgebung und Daniel Craig als altmodisch-brillanter Privatdetektiv versetzen uns zurück in die Welt von Eine Leiche zum Dessert (1976) oder Mord im Orient-Expreß (1974). Dank seiner bissigen Gegenwartskritik entpuppt sich Knives Out auf erfrischende Weise als spaßiges Gegenteil eskapistischer Fiktion.
Am Anfang einer solchen Murder-Mystery steht für gewöhnlich ein Mord, doch im Fall des Ablebens des berühmten Krimi-Autoren Harlan Thrombey (Christopher Plummer) steht nicht mal das so richtig fest: Am Tag nach seinem 85. Geburtstag wird er daheim in seinem Arbeitszimmer mit aufgeschnittener Halsschlagader gefunden. Die Polizei hält dies zunächst für einen etwas dramatischen Suizid. Doch plötzlich steht Privatdetektiv und Südstaaten-Gentleman Benoit Blanc (Daniel Craig) auf der Matte und will alle Familienmitglieder befragen.
Und hiermit dringen wir zum komödiantischen Kern von Knives Out vor. Denn die Thrombeys sind ein äußerst schwieriges, einander in tiefer Verachtung verbundenes Familiengespann, das sich nach außen als liebend-eingeschworene Gemeinschaft präsentiert. Wenige pointierte Fragen von Benoit Blanc genügen, um ans Licht zu bringen, was die Familienmitglieder wirklich voneinander halten. Harlans Tochter Linda (Jamie Lee Curtis), selbst proklamierte Selfmade-Frau, blickt herab auf ihren jüngeren Bruder Walt (Michael Shannon), der den Verlag seines Vaters führt. Dessen Teenager-Sohn Jacob (Jaeden Martell) sei ein Alt-Right-Nazi, meint Lindas Ehemann Richard (Don Johnson). Einig sind sich die Geschwister Linda und Walt nur darin, dass Lifestyle-Guru Joni (Toni Collette), die Witwe ihres verstorbenen Bruders, eine nervtötende Nutznießerin mit einer verwöhnten linksliberalen Tochter (Katherine Langford) ist. Und dann wäre da noch Ransom (Chris Evans), Linda und Richards durch verdächtige Abwesenheit glänzender Sohn, der anscheinend noch auf seinen großen Auftritt wartet.
Seichte Fassade, kritisches Inneres
Diese ersten Szenen von Knives Out bieten scharfsinnige, bissige Dialoge, entlarvend gesetzte Schnitte und sind äußerst amüsant. Bis hierher könnte man diesen Film für ein eskapistisch-amüsantes Spektakel halten, das in den USA marketinggerecht zu Thanksgiving in den Kinos anlief. Doch Regisseur und Drehbuchautor Rian Johnson bringt etwas auf den Tisch, was seit einigen Jahren für inneramerikanischen Zwist sorgt und wohl schon einige Familienfeste zerstört hat: Donald Trumps Einwanderungspolitik.
Diese ist eins der Streitthemen auf der Familienfeier zu Harlans 85. Geburtstag – der Vorabend seines Todes. In Rückblenden wird uns dieses Fest als indizienbeladenes Gemenge gezeigt, in deren Mitte Harlans Pflegerin und enge Vertraute Marta Cabrera (Ana de Armas) steht. Von den übrigen Thrombeys wird die junge Einwanderin während der Befragung als quasi-familienangehörig bezeichnet. Aber es ist ein Running Gag dieses Films, dass kein Thrombey sich merken kann, woher Marta exakt stammt (Paraguay, Uruguay und Brasilien sind wohl alles eins). Aufgrund ihrer engen Verbundenheit mit Harlan und einer äußerst außergewöhnlichen Konstitution rückt sie für Benoit Blanc bald ins Zentrum seiner Ermittlungen.
Eliten, Erbrecht und Entitlement
Zahlreiche Wendungen, die hier selbstverständlich nicht verraten seien, humoristische Spitzen und ein liebevoll-parodistischer Tonfall machen Knives Out zu einem sehr sehenswerten Kinoerlebnis. Darüber hinaus hat dieser Film einen äußerst interessanten Themenkern zu bieten, der sich um das Selbstverständnis und die Anspruchshaltung mancher reicher Eliten dreht. So betrachtet sich jede/r der Thrombeys als „selfmade“ Person fernab jeglicher unverdienter Privilegiertheit. Doch bei der Testamentsverlesung wird deutlich, wie viel jede/r einzelne von ihnen auf die finanziellen Zuwendungen von Harlan Thrombey, dem einzigen Selfmade-Mann dieser Geschichte, gesetzt hat.
Knives Out wird so zur erfrischenden Reflexion über Chancengleichheit, selbst Erarbeitetem und Geerbtem. Es behandelt den gegenwärtigen Zustand des Amerikanischen Traums, der – falls je existent – derzeit von Entitlement, Bedrohungshirngespinsten und schädlichen digitalen Auswüchsen (Influencertum, Alt-Right-Bewegung, Mode-Linke) zersetzt wird. Das sich dies alles in Knives Out zu einem eleganten Ganzen zusammenfügt, ist nicht nur Rian Johnsons feinbalanciertem Drehbuch, sondern auch der grandiosen Besetzung zu verdanken. Bis in die kleinste Rolle wurde hier abgeliefert, so dass der von Daniel Craig gespielte Privatermittler Benoit Blanc als Hauptfigur ebenbürtig umrahmt wird. Der unerwartete Erfolg an den Kinokassen lässt Rian Johnson offenbar aktuell über neue Fälle für Benoit Blanc nachdenken. Man kann nur hoffen, dass solch eine Fortsetzung das hohe Niveau dieses Erstlings erreicht und nicht in ein seelenloses Franchise mündet.
Knives OutUSA 2019 culturshock-Wertung: 8/10 |
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