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Feature: Hellas Filmbox Berlin 2020

Hellas Filmbox Berlin FilmfestivalZum fünften Mal in Folge fand vom 15. bis 19. Januar 2020 das griechische Filmfestival Hellas Filmbox Berlin im Babylon-Kino (Mitte) statt. Die große Vielfalt an Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilmen stand in diesem Jahr unter dem Motto „Feminine, sunny and blue.“ Das „Feminine“ äußerte sich erfreulicherweise auch unter ein paar Wettbewerbsbeiträgen weiblicher Regie. Zudem gab es eine offene Diskussionsrunde namens „Gender matters“, in der es um Gleichberechtigung im Filmbusiness und den Medien ging. Und natürlich hatte Hellas Filmbox auch cineastisch ein paar diskutable und gewichtige Filme zu bieten, von denen ich mir ein paar anschauen konnte.

 

Eröffnungsfilm: Winona

Los ging es mit dem Drama Winona, das uns an einen sonnenbeschienenen Strand auf der Insel Andros entführte. Vier junge Frauen wollen sich hier offenbar einen unbeschwerten Tag machen, doch schon nach den ersten Minuten dieses auf 16 mm gedrehten Films fragt man sich, worauf das ganze hinausläuft. Denn die mal amüsanten, aber fürs Publikum meist ermüdenden Albereien von Eiko (Daphne Patakia), Jennifer Jason (Iro Bezou), Giulietta (Anthi Efstratiadou) und Meryl (Sofia Kokkali) – so nennen sich die vier – werden mitunter von spontanen Heulkrämpfen und Melancholieanfällen unterbrochen. Zudem wartet nicht weit von ihnen entfernt ein Mann in einem Auto, während die vier für Fotos posieren, ihrer Woody Allen-Verehrung frönen und wieder und wieder (und wieder!) Lieder anstimmen.

Hellas Filmbox Berlin Filmfestival

Ein Tag am Strand mit Blick zurück: Giulietta (Anthi Efstratiadou), Eiko (Daphne Patakia), Jennifer Jason (Iro Bezou), und Meryl (Sofia Kokkali)

Für Drehbuch und Regie von Winona ist der Musiker The Boy alias Alexandros Voulgaris verantwortlich, der hier wohl einen dahinplätschernden aber sich im Finale als bedeutungsschwer entpuppenden Tagtraum von Film im Sinn hatte. Und ja, das Finale erklärt einiges, macht aber trotz der schönen Aufnahmen vom Strand und den vier gut improvisierenden Schauspielerinnen dieses langwierige Stück Durchhaltekino nicht wirklich lohnenswert.

Hellas Filmbox Berlin FilmfestivalWinona

Griechenland 2019
Regie & Drehbuch: The Boy (Alexandros Voulgaris)
Kamera: Simos Sarketzis
Besetzung: Anthi Efstratiadou, Sofia Kokkali, Iro Bezou, Daphne Patakia, Cleo Ktena, Vangelis Loukissas, Eleni Bertes
88 Min.

culturshock-Wertung: 5/10

Special Screening: Smuggling Hendrix

Eindeutig konkreter wurde es mit Mario Piperides‘ Debüt Smuggling Hendrix, der bereits im vergangenen November in den deutschen Kinos anlief. Der unter anderem aus Soul Kitchen bekannte Adam Bousdoukos gibt hier einen abgehalfterten Ex-Musiker namens Yiannis, der in drei Tagen seine Heimatstadt Nikosia in Zypern hinter sich lassen und nach Holland auswandern will. Bis dahin muss der Hochverschuldete nur seiner Vermieterin, brutalen Geldeintreibern und seiner Ex-Freundin Kika (Vicky Papadopoulou) aus dem Weg gehen. Leider kommt ihm bei einem dieser Ausweichmanöver sein geliebter Hund Jimi abhanden, der dann auch noch über die UN-Pufferzone in den türkischen Teil der Insel entwischt.

Hellas Filmbox Berlin Filmfestival

Nicht ohne seinen Hund: Yiannis (Adam Bousdoukos)

Von hieran werden wir gemeinsam mit Yiannis in den seit der türkischen Invasion von 1974 anahltenden Zypernkonflikt hineingezogen. Denn nachdem Yiannis seinen Hund auf der anderen Seite schnell gefunden hat, darf er diesen nicht wieder über die Grenze in die Republik Zypern bringen. Es folgen mehrere Lösungsversuche, die Yiannis in eine immer desolatere Situation bringen: Mithilfe des Zyperntürken Hasan (Fatih Al) schaltet er einen zwielichtigen Schmuggler (Özgür Karadeniz) ein, zieht dann seine Ex-Freundin in die missliche Lage hinein und unternimmt schließlich einen äußerst riskanten Fluchtversuch.

Drehbuchautor und Regisseur Piperides lässt in dieser bitteren Gesellschaftskomödie keine Gelegenheit aus, um auf die Absurdität der trostlosen Konfliktsituation um Zypern einzugehen. Dabei zeigt er Verständnis und Einfühlungsvermögen für die Bewohner auf beiden Seiten der Grenze und exemplifiziert an seinen Protagonisten, was für Folgen solche Grenzziehungen auf die Lebensweise und Zukunftsaussichten der Einzelnen haben. Dass Smuggling Hendrix zum Ende hin etwas an Drive verliert und die Geschichte hier und da zu zerfasern droht, sei Piperides angesichts seines aufrichtigen Verzichts auf ein versöhnliches Feel-Good-Ende verziehen.

Hellas Filmbox Berlin FilmfestivalSmuggling Hendrix

Zypern/Deutschland/Griechenland 2018
Regie & Drehbuch: Marios Piperides
Kamera: Christian Huck
Besetzung: Adam Bousdoukos, Fatih Al, Vicky Papadopoulou, Özgür Karadeniz
92 Min. Kinostart Deutschland: 14. November 2019

culturshock-Wertung: 7/10

Nimic – Ein Kurzfilm von Yorgos Lanthimos

Auch wenn seine letzten Filme (The Favourite, The Killing of a Sacred Deer, The Lobster) eher internationale Produktionen mit gewichtigen Hollywood-Stars waren, bleibt der Name Yorgos Lanthimos natürlich eng mit dem griechischen Kino verbunden. Und so freute es die Veranstalter von Hellas Filmbox sehr, dass sie einen Kurzfilm des inzwischen weltberühmten und Oscar-nominierten Lanthimos ins Programm aufnehmen konnten.

Hellas Filmbox Berlin Filmfestival

Nächstes Mal trägt er wohl eine Armbanduhr: Matt Dillon

 

Nimic ist ein Doppelgänger-Drama, in dem ein von Matt Dillon gespielter Cellist und Familienvater sehr schnell bereut, eine junge Frau (Daphne Patakia) in der U-Bahn nach der Uhrzeit gefragt zu haben. In 12 Minuten entwickelt Lanthimos in seiner wohlbekannten abstrusen Alptraum-Manier ein dialogarmes Think Piece zur gegenwärtigen Angst vieler Männer, durch neue progressivistische Strömungen aus ihren privaten wie beruflichen Positionen hinausgedrängt zu werden. Eine sehenswerte, vieldeutige Reflexion über die männliche Wahrnehmung von Bewegungen wie Time’s Up und Leitsprüchen wie The Future is Female.

Hellas Filmbox Berlin FilmfestivalNimic

(Kurzfilm)
Griechenland, USA, Großbritannien 2019
Regie: Yorgos Lanthimos
Drehbuch: Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippou. Nach einer Idee von David Kolbusz
Kamera: Diego García
Besetzung: Matt Dillon, Daphne Patakia, Lizzi Ceniceros, Susan Elle, Rowan Kay, Anvo Kyle, Eugena Lee, Sara Lee, Florencia Mariotti, Jeffrey Raines
12 Min.

culturshock-Wertung: 8/10

Es werde Noir: The Waiter

Mit Lanthimos ist der Hauptdarsteller des Neo-Noir-Dramas The Waiter bestens bekannt. So war Aris Servetalis bereits in seinen frühen Dramen Kinetta (2005) und Alps (2011) zu sehen. In The Waiter spielt Servetalis nun den Kellner Renos, der beruflich und privat Präzision, Ordnung und feste Abläufe schätzt. Wenn er seinem schluffigen Kollegen nicht gerade erklärt, wie man die perfekte Bügelfalte hinkriegt oder wie man einen Kaugummi mühelos von der Schuhsohle entfernt, bleibt er am liebsten daheim, kümmert sich um seine Pflanzen und zeichnet. Doch schon diese ersten Szenen aus Renos‘ Alltag in Athen vermittelt Regisseur Steve Krikris in interessanten Schattenspielen sowie Isolation und Unheil versprühenden Bildern.

Hellas Filmbox Berlin Filmfestival

Renos (Aris Servetalis) und der mysteriöse neue Nachbar (Yannis Stankoglou)

Renos‘ wohlgeordnetes Leben wird bald nachhaltig erschüttert, als er im Müllcontainer Leichenteile seines Nachbarn Milan entdeckt und dessen Wohnung kurz darauf von einem mysteriösen Mann (Yannis Stankoglou) bezogen wird. Bald findet sich Renos in einer komplizierten Dreiecksgeschichte wieder, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. Jedenfalls keinen guten. The Waiter droht zwar zwischenzeitlich in die Style-over-Substance-Falle zu tappen, kriegt dann aber dank eines interessant bleibenden Protagonisten und anhaltender Spannung die Kurve zu einem überzeugenden Neo-Noir-Thriller.

Hellas Filmbox Berlin FilmfestivalThe Waiter

Griechenland 2018
Regie & Drehbuch: Steve Krikris
Kamera: Giorgos Karvelas
Besetzung: Aris Servetalis, Yannis Stankoglou, Alexandros Mavropoulos, Eleanna Finokalioti, Antonis Myriagos
104 Min.

culturshock-Wertung: 7/10

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