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Buchkritik: Freddie Mercury. Die Biografie

Freddie Mercury Biografie Lesley-Ann Jones
Über all die Musiker-Tode, die wir in diesem Jahr zu verkraften hatten – David Bowie, Prince, Leonard Cohen, um nur einige zu nennen – könnte man fast vergessen, dass wir heute den 25. Todestag einer Legende schreiben: Freddie Mercury. Sänger der Rock-Band Queen und für viele der größte Frontmann aller Zeiten. Im Alter von 45 Jahren erlag er am 24. November 1991 den Folgen seiner Aids-Erkrankung. Warum er bis heute unvergessen ist und was ihn als Musiker und Person ausmachte, erkundet die ehemalige Musikjournalistin Lesley-Ann Jones in einer wuchtigen, äußerst aufschlussreichen Biografie, die erstmals auf Deutsch vorliegt.

Spandex und Komplexe

Von einer Zeit, in der Musikjournalisten fast uneingeschränkten Zugang zu Rockbands hatten, mit ihnen reisen und feiern durften, weiß Lesley-Ann Jones nur zu gut zu berichten. In den 80ern und 90ern arbeitete die Britin als Musikjournalistin unter anderem für die Daily Mail und die Sun und führte Interviews mit David Bowie, U2, Cindy Lauper und unzähligen weiteren Ikonen, die damals noch nicht von einer PR-Brigade geschützt wurden. Im Gegensatz zur heute praktizierten, ganzheitlichen Image-Kontrolle, konnte man den Stars damals noch die ein oder andere interessante Weltsicht entlocken, meint Jones.

So auch im Fall von Freddie Mercury: In der Einleitung zu dieser 25 Kapitel umfassenden Biografie erzählt sie von einem Gespräch, das sie mit ihm im White Horse, einer Bar in Montreux, führte und im Zuge dessen sie zum ersten Mal der Widersprüchlichkeit dieser Persönlichkeit gewahr wurde: So exaltiert und arrogant er auf der Bühne sein konnte, so bescheiden, höflich und schüchtern zeigte er sich nach dem Auftritt. Auf den folgenden Seiten lässt Jones zahlreiche Musiker, aber auch Verwandte, einstige Mitschüler und Kommilitonen, zu Wort kommen. Sie alle beschreiben Freddie – als Farrokh Bulsara, 1946 auf Sansibar geboren – als zurückhaltenden Gentleman, der die Mütter seiner Freunde durch sein liebenswürdiges Auftreten verzauberte.

Um so faszinierender erscheint die pfauenhafte, energiegeladene Bühnenpräsenz, die er in den 70ern noch vor seinem Einstieg bei Queen perfektionierte. Während andere Bands noch in den Klamotten auftraten, die sie den ganzen Tag über getragen hatten, zwängte er sich in glitzernde Spandex-Anzüge und wirbelte mit dem Mikrofon-Ständer herum. Jones beschreibt nachvollziehbar, wie Freddies Hang zum Exaltierten zur Wiedererkennbarkeit von Queen beitrug, die 1974 mit ihrer dritten Single Killer Queen, die „Wende“ schafften – wie Brian May es später ausdrücken sollte.


(Killer Queen, 1974. „Eine dieser Melone-und-schwarze-Strapse-Nummern“ meinte Cabaret-Fan Freddie Mercury)

Mit Freddies Werdegang bereitet diese Biografie gleichermaßen die Geschichte von Queen chronologisch auf. Dabei gelingt es der Autorin trotz der Materialfülle immer wieder, den Fokus zurück auf Freddies widersprüchliche Persönlichkeit zu lenken. So überrascht es immer wieder zu lesen, wie sehr sich der legendäre Frontmann zeitlebens mit Komplexen wegen seiner dunklen Augen und seiner schiefen Zähne herumplagte. Letztere verdeckte er in den 80ern schließlich bewusst mit seinem Schnauzbart, wozu auch noch interessante Anekdoten um seine Inspiration für diesen Look und die entsetzten Reaktionen seiner Fans geliefert werden. Erst mit zunehmendem Erfolg und Drogenkonsum habe er auch hinter der Bühne Selbstvertrauen ausstrahlen und dieses in einen ausschweifenden Lebensstil überführen können.


(Somebody to Love, live in Montreal)

Jedem eine Facette, niemandem das Gesamtbild

Die Songs, die Live-Auftritte, die Musikvideos von Queen, deren Entstehungsgeschichten in dieser Biografie geschildert werden, kann man kaum an sich vorbeigehen lassen, ohne sie nochmals aufzurufen und nachzuhören und anzuschauen, was für ein begnadeter Sänger und unvergleichlicher Frontmann Freddie Mercury doch war. Hinzu kommen die zahlreichen Anekdoten aus dem Musikbusiness der damaligen Zeit, aus Freddies Freundeskreis, der Schwulenszene in New York und der Münchener Schickeria, in der er verkehrte. Elton John, Barbara Valentin, David Bowie – als Nebenfigur ein Tee kochender Jon Bon Jovi – sind nur einige der illustren Persönlichkeiten, die in Jones‘ Erzählungen auftauchen. Und jeder scheint eine Facette von Freddie Mercury zu kennen, die anderen wiederum fremd blieb.

Freddie Mercury Biografie Lesley-Ann Jones

In der Weigerung, einer Person all seine Seiten zu zeigen, sie mit dem Gesamtbild an Eigenschaften, Bedürfnissen und Ängsten zu konfrontieren, will Jones schließlich den Schlüssel zu Freddies Widersprüchlichkeit finden. Eine schlüssige Interpretation, wie zum Beispiel aus dem Kapitel zu Mary Austin deutlich wird. In den 70ern führten Mary und Freddie eine sechsjährige Beziehung, bevor Freddie ihr und sich seine Homosexualität eingestand. Trotz der Trennung blieben er und Mary, von Freddie „Old Faithful“ genannt, zeitlebens nicht nur enge Freunde – Mary verwaltete zudem seine Geschäfte und residiert heute als eine Art Witwe in seinem Anwesen in Kensington. Die Autorin betrachtet diese lebenslange Hingabe Freddies gegenüber Mary als teilweise Erfüllung der Sesshaftigkeit, die sich der Künstler trotz aller wilden Exzesse insgeheim gewünscht habe, aber nicht mit seinem gleichzeitigen Bedürfnis nach Ausschweifung vereinen konnte. Unter den Songs, die er für Queen geschrieben hat, sei ihm Somebody to Love der liebste gewesen.

Künstler bis zum Schluss

Obwohl unzählige Affären, wilde Partys und Drogenexzesse seinen Weg säumten, wird in dieser Biografie klar, wie ernst Freddie Mercury sein Künstlertum nahm. Die Live-Auftritte waren minutiös geplant und erprobt, seine Leistung auf der Bühne unschlagbar, all seine Projekte mit Leidenschaft und Fleiß vorangetrieben. Es scheint schier unfassbar, mit welcher Geschwindigkeit sein Leben verlief. Man verfolgt dieses beim Lesen mit Staunen und Vergnügen mit, bis man zu den Kapiteln gelangt, vor denen man zurückzuckt in der Gewissheit, dass sie einen traurig stimmen werden.

Jones beschreibt hier die Atmosphäre jener Zeit, in der sich nach der kurzen Lücke, die das Abklingen der Syphilis hinterließ, das Aids-Virus ausbreitete und auch vor Freddie nicht Halt machte. Doch das bezeichnende Kapitel wird mit einem fast schon lakonischen Zitat Freddies eingeläutet: „Ich hatte schwere Umbrüche zu verkraften und immense Probleme, aber ich hatte eine wundervolle Zeit, und ich bereue nichts. Oh Gott, ich höre mich an wie Edith Piaf!“

Und neben seiner fast bis zuletzt aufrecht erhaltenen Schöpfungskraft, beeindruckt und tröstet die Konsequenz, mit der er dem herannahenden Tod den Schilderungen seines Umfelds zufolge begegnete und seine Weggefährten aufrief, ihr Leben ohne Umschweife weiterzuleben. „Dazu ist es schließlich da.“ Ein Ausspruch, der angesichts seines viel zu frühen Ablebens ein wenig Trost spendet – ebenso wie seine hinterlassenen Werke und diese berauschende Biografie.

Lesley-Ann Jones:
Freddie Mercury. Die Biografie
(Original: Freddie Mercury: The Definitive Biography, 2011)
Übersetzt aus dem Englischen von Stefan Rohmig
Piper, München 2016
448 S., 24,00 Euro
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