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Serienkritik: The Witcher

Vom trashigen Ersteindruck sollte man sich nicht täuschen lassen: Netflix ist mit der ersten Staffel der Fantasy-Serie von The Witcher ein vielversprechender Start in eine komplexe Saga gelungen.

Wer die Geralt-Saga des polnischen Fantasyautoren Andrzej Sapkowski nicht gelesen hat, das darauf beruhende Computerspiel nicht kennt und auch nicht viel mit einer düsteren Schmonzettenroman-Ästhetik anfangen kann, dem verhießen die ersten Promo-Bilder von The Witcher nichts Gutes. Henry Cavill, britischer Hauptdarsteller der relativ erfolglosen aktuellen Superman-Filmreihe, war in den ersten Bildern und Trailer prominent platziert. Ausgestattet mit noch höheren Muskelbergen als sonst, mit weißer Langhaar-Perücke und bernsteinfarbenen Kontaktlinsen irrte er da als wandelnder Widerspruch durch ein Fantasyreich: zahlreich angeschmachtet, aber einsam, anziehend, aber allerorts unerwünscht. Im Hintergrund wehklagende Frauenchöre, im Vordergrund ein paar fiese Monster. Dies konnte nur eine Fantasy-Serie sein, nach der niemand verlangt hat – im besten Falle vielleicht sogar heißer Trash, über den man herzlich kichern kann. Aber wie so oft täuscht der erste Eindruck (zumindest meiner).

Dies hat natürlich zuallererst mit der Romanvorlage zu tun: Sapkowskis Geralt-Saga spannt einen weiten Bogen vom Hexer Geralt von Riva über einen in zahlreiche Königreiche unterteilten Kontinent, der nicht nur von Menschen sondern von sogenannten ‚Anderlingen‘ aller Art bewohnt wird: Elfen, Zwerge, Drachen. Und hin und weder eben auch von Monstern, die mitteleuropäischen und slawischen Märchen entsprungen sind. Diese entpuppen sich jedoch in einer mitunter parodistischen Wende als etwas meist Menschengemachtes.

Hero without a cause

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Hexer Geralt von Riva (Henry Cavill) mit seinem einzigen Freund

Wie im Romanzyklus stellt die Netflix-Serie diese Welt zunächst aus den Augen von Geralt dar, der rastlos von Königreich zu Königreich reist, um seine Dienste im Kampf gegen schädliche Monster feilzubieten. Dabei zeigt er sich geschäftstüchtig, wortkarg und distanziert und will von Heldentum grundsätzlich nichts wissen. Um sich als solcher aufzuspielen, müsste er erst mit all den Vorurteilen gegenüber Menschen seiner Gattung aufräumen. So wird den von Menschenhand mit brutalen Mitteln erschaffenen Hexern etwa nachgesagt, sie könnten keine Gefühle empfinden. Sehr schnell werden sie entsprechend zu Verantwortlichen für jegliche Art von Gräueln erklärt. So ist Geralt bereits am Ende der ersten Folge trotz bester Absichten der Spitzname „Schlächter von Blaviken“ sicher.

Dies allein ist schon spannend und kurzweilig genug inszeniert und von Henry Cavill angenehm pointiert gespielt. Aber The Witcher wartet mit zwei weiteren Hauptfiguren auf, deren Geschichten nicht nur genauso viel Raum wie die von Geralt einnehmen. Sie geben dieser Serie erst eine episodenumspannende Richtung und dem Titelhelden eine Motivation. Zum einen wäre dies die junge Ciri (Freya Allan). Sie ist die Enkelin der kämpferischen Königin Calanthe (Jodhi May), die im Norden über das Königreich Cintra herrscht. Dieses wird in der ersten Episode von Truppen des expansiven südlichen Kaiserreichs Nilfgaard überrannt, was dazu führt, dass Ciri ihr Heim und ihre Großeltern verliert und sich fortan auf der Flucht befindet. Nur eines konnten ihr ihre Beschützer noch mit auf den Weg geben: Sie muss Geralt von Riva finden.

Magie, die ihren Preis hat

Die andere und für mich interessanteste Figur in dieser Triade heißt Yennefer von Vengerberg (Anya Chalotra), die es von Geburt an aufgrund einer körperlichen Behinderung äußerst schwer hat. Aufgrund ihres krummen Rückens ist sie der grausam verspottete Dorfsonderling, für den nicht einmal ihre Familie viel übrig hat. Aber ihr Leben erhält eine drastische Wendung, als sie von der resoluten Magierin Tissaia de Vries (MyAnna Buring) für einen Spottbetrag gekauft (!) wird. Fortan wird Yennefer, die von jeher über kaum kontrollierbare Zauberkräfte verfügt, auf der Festung Aretuza zur Magierin ausgebildet.

Und ab dieser zweiten Episode („Vier Mark“) offenbart sich, was The Witcher zu mehr als einer kurzweiligen Fantasyserie macht: Tissaia de Vries vermittelt Yennefer und den anderen Schülerinnen die Regeln der Magie, die in dieser Welt immer einen hohen Preis hat. Es ist die Kunst des kontrollierten Chaos, deren Anwendung aber stets Lebenskraft einfordert. Zum Ende der Ausbildung ist Yennefers Rücken begradigt und ihr Äußeres makellos schön, aber dafür muss sie einen hohen Preis zahlen. Mit dieser Vorstellung einer stets folgenreichen Zauberkunst wird die Welt von The Witcher greifbarer und nimmt einen interessanten Realismus an, der sich unserer eigenen Welt nähert: Jede Handlung hat Konsequenzen, jede Optimierung kostet Opfer, die es vielleicht nie wert waren.

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Yennefer von Vengerberg (Anya Chalotra) am Ende ihrer Ausbildung

Dazu passt, dass Yennefer wie all die anderen ausgebildeten Magierinnen und genau wie Geralt ihre erlernten Kräfte als Dienstleistung feilbieten muss. Tissaias Schülerinnen werden den einzelnen königlichen HerrscherInnen an die Seite gestellt. Sie sollen diese fortan mit ihrer Magie unterstützen. Damit erhält die Anwendung von Magie in The Witcher eine ökonomische und politische Dimension. Und dem dem beschriebenen Realismus entsprechend bleibt dies ebenfalls nicht ohne Folgen.

“Was ist schon Zeit?“

Früh ahnt man, dass sich die Wege von Geralt, Ciri und Yennefer in The Witcher kreuzen müssen. Aber auf welche Weise sie es schließlich tun, ist überraschend. Denn während die ersten Episoden den Eindruck erwecken, die Geschichten dieser drei Figuren spielten sich alle zugleich ab, wird die Alinearität von The Witcher zu Mitte dieser Staffel schrittweise enthüllt. Es ist ein interessanter Twist, dem die Tatsache entgegenspielt, dass über Magie verfügende Figuren wie Geralt und Yennefer kaum altern. Und so erzählt The Witcher auch davon, wie sich die lineare Vorstellung Zeit angesichts der zur Wiederholung verdammten Geschichte, repetitiver innerer Kämpfe und unabgeschlossener Vergangenheiten verflüchtigt. Dem gegenüber steht eine zyklische Zeitvorstellung (womit man wieder bei „Time is a flat circle.“ angekommen wäre). Oder, wie es Geralts hier und da hereinschneiender musikalischer Sidekick Jaskier/Rittersporn (Joey Batey) in einer Episode ausdrückt: „Was ist schon Zeit?“

Die Zeit, die man in diese acht ersten Folgen von The Witcher investiert, ist jedenfalls nicht vertan. Showrunnerin Lauren Schmidt Hissrich hat in Zusammenarbeit mit einer vielfältigen Regie- und Drehbuchriege einen gelungenen Auftakt zur eigentlichen, auf Andrzej Sapkowskis Roman-Pentalogie beruhenden Hexer-Saga geschaffen. Für diese erste Staffel wurde auf seine Kurzgeschichten aus den Bänden Der letzte Wunsch und Das Schwert der Vorsehung zurückgegriffen. Auf Basis dieser erzählt dieser Auftakt trotz der zyklischen Zeitvermittlung vom rasch voranschreitenden Aufstieg Nilfgaards. Dieser stellt die Leben von Geralt, Ciri und Yennefer auf den Kopf und verzweigt sie in einer spektakulär inszenierten letzten Folge miteinander.

The Witcher Serie Netflix FantasyThe Witcher

USA, Polen 2019
Basierend auf der Romanreihe von Andrzej Sapkowski
Entwickelt von: Andrzej Sapkowski, Lauren Schmidt Hissrich
Besetzung: Henry Cavill, Anya Chalotra, Freya Allan, Joey Batey, MyAnna Buring, Eamon Farren, Lars Mikkelsen
1 Staffel à 8 Episoden
Episodenlänge: ca. 60 Min.
Verfügbar auf: Netflix seit 20. Dezember 2019

culturshock-Wertung: 8/10

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