Film

Filmkritik: Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln

In einem restaurierten Director’s Cut kehrt Paul Schraders biografisches Drama Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln (1985) für kurze Zeit in die Kinos zurück.

Fast 35 Jahre ist es her, dass Paul Schraders Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln (1985) in die Kinos kam. Und Schrader war sich sicher, dass er dort nicht viele Zuschauer finden würde. Die L.A. Times zitierte damals seine Worte bei einer Festivalvorführung des Films: „Ich muss die Studioleute ständig an die Realität erinnern, denn bei aller Aufmerksamkeit, die [der Film] bekommt, beginnen sie zu denken, dass er gute Ergebnisse einspielen wird. Das kann er nicht.“ Die Aufmerksamkeit, von der Schrader spricht, war dem Film aufgrund seines Sujets garantiert: Yukio Mishima (1925-1970), ein weltbekannter japanischer Schriftsteller, der am 25. November 1970 mit seiner Privatarmee das Hauptquartier der japanischen Streitkräfte in Tokio stürmte, mit dem Ziel die Herrschaft des Kaisers wiederherzustellen. Er scheiterte und beging Seppuku, den zu Samurai-Zeiten ritualisierten Suizid, der im Westen als Harakiri bekannt ist.

Mit diesem Akt reaktionären Extremismus wurde Mishima zur kontroversen Figur, über die heutige japanische Schriftsteller wie Haruki Murakami nur ungern sprechen. Stattdessen taucht er leider um so häufiger als Inspirationsquelle neu-rechter Gruppierungen auf, etwa der Identitären oder bei ‚Maskulinisten‘ wie Jack Donovan. Beschäftigt man sich näher mit Mishimas Werk und Biografie werden aber die Widersprüche deutlich, die es unmöglich machen, ihn in eine Schublade zu stecken. Sein zweiter Roman Bekenntnisse einer Maske handelte etwa von einem jungen Mann, der seine Homosexualität entdeckt. Vielen gilt es als autobiografisch geprägtes Werk, wurden Mishima selbst, Affären mit Männern nachgesagt. Obwohl er eine Ehefrau und zwei Kinder hatte, hat Mishima solche Gerüchte weder kommentiert noch entkräftet.

Und so sehr er zum Ende seines Lebens ein Japan anstrebte, das sich dem westlichen Einfluss, dem Kommerz und der Demokratie wieder entledigte, war er häufiger Besucher in New York und Europa und Bewunderer westlicher Musik und Literatur. Ein kontroverser, widersprüchlicher Mann – und damit die ideale Figur für einen Paul Schrader-Film, der immer wieder „Gottes einsamsten Mann“ zur Hauptfigur hat. Man denke an Martin Scorseses Taxi Driver, für das Schrader das Drehbuch schrieb, oder an seine letzte Regiearbeit First Reformed (2017). Es sind Geschichten über Männer, die an ihrer inneren Zerrissenheit und ihrem Verhältnis zur Realität verzweifeln.

Mehr künstlerische als biografische Annäherung

Yukio Mishima Paul Schrader Film

Aus der Erzählung „Der Tempelbrand“

Diesen Themen widmet sich Schrader Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln auf auch für ihn unübliche Weise. Eingeleitet wird der Film durch einen Vorspann, in dem wir einen Strand bei Sonnenaufgang sehen, untermalt von der prägnanten Komposition eines damals noch unbekannten Philip Glass. Sie zeugt zunächst von Unheil, dann Chaos und schließlich Triumph. Es passt zur besonderen Struktur dieses Films, dessen Rahmenhandlung Mishima (Ken Ogata) am letzten Tag seines Lebens, den 25. November 1970, zeigt. Wir sehen ihn bei den Vorbereitungen seines Putschversuchs. In den ernsten Absprachen mit den jungen Männern seiner Privatmiliz wird deutlich, dass Mishima sich keine allzu großen Hoffnungen auf das Gelingen seiner Tat, auf das Einlenken der japanischen Soldaten macht. Sein Tod scheint ihm gewiss.

In diese Rahmenhandlung fügen sich Schwarz-Weiß-Rückblenden in prägende Stationen seines Lebens ein. Die Kindheit verbringt er zunächst bei seiner strengen Großmutter, die ihn zur Ehrung seiner Abstammung von einem Samurai-Clan erziehen will. Die Rückblenden fokussieren weiter Mishimas Jugend und seine erfolgreichen Schriftstellerjahre. Unterbrochen werden sie von farbprächtigen Verfilmungen dreier Geschichten Mishimas: Der Tempelbrand (1956), Kyokos Haus (1959), Unter dem Sturmgott (1969). Sie erzählen von der Verzweiflung an Schönheit, der Paarung von Sexualität und Todessehnsucht und schließlich von Extremismus und Suizid. Gefilmt wurden sie in beeindruckenden bühnengleichen Kulissen, die von Eiko Ishioka stammen. Ishioka wurde in den kommenden Jahrzehnten eine gefragte Kostümbildnerin und schuf die atemberaubenden Gewänder von Francis Ford Coppolas Dracula-Verfilmung (1992) und Tarsem Singhs The Cell (2000) und The Fall (2006).

Yukio Mishima Paul Schrader Film

Osamu (Kenji Sawada) in der Erzählung „Kyokos Haus“

Verschmelzung des Unvereinbaren

Diese dreigliedrige Erzählstruktur von Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln (ja, noch dazu ist die Erzählung unterteilt in vier Kapitel) mag kompliziert und wirr klingen. Aber sie wird von Schrader scheinbar mühelos, mit geschickten, manchmal pointierten Übergängen angeordnet. Alles in diesem Film fließt eindrücklich ineinander in ein visuell erstaunliches, teils berauschendes Werk Filmkunst. Dass sich alles so gut in ein stimmiges Ganzes fügt, liegt auch daran, dass Schrader seinen Film auf ein im Verlauf immer stärker hervortretendes Thema zuspitzt: die Vereinigung von Wort und Tat, von Kunst und Leben.

In den Rückblenden hören wir Mishima über die Grenzen von Worten sinnieren und über die unvereinbaren Gegensätze in seinem Leben. Wir hören, wie sehr er sich während des Zweiten Weltkriegs nach einem ehrenvollen Kamikaze-Tod sehnt, sehen dann aber kurz drauf, wie er sich durch Vortäuschung einer Krankheit der Einberufung entzieht. Zum Ende hin verfolgt er den Gedanken immer obsessiver, ob man Wort und Tat, „die bleibende und die fallende Blüte“ vereinigen kann. „Selbst wenn es gelingt, ist es in einem Moment vorbei“, ist sein Fazit.

Yukio Mishima Paul Schrader Film

Aus der Erzählung „Unter dem Sturmgott“

Das Ende von Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln greift diesen Gedanken auf besonders einprägsame Weise auf. Kunst und Leben Mishimas fließen hier wirklich ineinander und werden vereinigt. Man könnte darüber streiten, ob der kontroverse Schriftsteller, dessen letzte Tat mal als reaktionäre Verwirrung abgetan und mal als rechtsextrem eingestuft wird, solch eine Bearbeitung verdient hat. Doch Schraders Film huldigt nicht Mishima selbst, sondern seiner künstlerischen Vorstellungskraft. Und dem Gedanken, dass solch eine Vorstellungskraft ein Leben zugleich emporheben und verschlingen kann.

Yukio Mishima Paul Schrader FilmMishima – Ein Leben in vier Kapiteln

(Original: Mishima – A Life in Four Chapters)
USA / Japan 1985 / 2008 / 2018
Regie: Paul Schrader. Drehbuch: Chieko Schrader, Paul Schrader, Leonard Schrader
Kamera: John Bailey
Besetzung: Ken Ogata, Kenji Sawada, Yasosuke Bando, Toshiyuki Nagashima, Masayuki Shionoya
120 Min. Kinostart Deutschland: 28. November 2019

culturshock-Wertung: 9/10

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