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Serienkritik: The White Lotus

Eine Woche im Luxusresort auf Hawaii: Die schwarzhumorige HBO-Serie The White Lotus lässt neurotische Wohlhabende auf angespannte Hotel-Angestellte los und brilliert mit einem äußerst unterhaltsamen, pointierten Plot.

Der Preis des Paradieses

Das Lächeln ist eingefroren, die Nervosität mühsam überspielt, das Winken aufgesetzt herzlich – so begrüßt man Gäste in einem Luxusresort auf Hawaii, jedenfalls wenn es nach Armond (Murray Bartlett) geht, dem dauergestressten Manager des Hotels „White Lotus“. Dieses bietet eigentlich alles, was das Oberklasse-Herz begehrt: geschmackvoll eingerichtete Zimmer mit Meerblick, Massagetherapien im hoteleigenen Spa, erlesene Speisen, Drinks ohne Ende, Poolbereiche, Schnorchelkurse, Bootsausflüge und vieles mehr. Und doch reicht das den meisten Gästen nicht, solange sie nicht das Gefühl haben, das liebevoll umsorgte „Lieblingskind“ des Hotels zu sein, erklärt Armond der neuen Angestellten Lani. Dass Lani an ihrem ersten Arbeitstag hochschwanger ist und kurz vor der Entbindung steht, entgeht Armond – die Gäste fordern eben seine volle Aufmerksamkeit.

"The White Lotus" Serie HBO

Grinsen bis zum Zusammenbruch: Lani (Jolene Purdy) und Armond (Murray Bartlett) | © Home Box Office, Inc.

So beginnt The White Lotus, die von Mike White für HBO erdachte und gedrehte Mini-Serie, deren Tonfall sich anfangs noch nicht so genau einordnen lässt. Vielleicht liegt es an der wunderschönen Szenerie (gedreht wurde tatsächlich auf Mauii, Hawaii), die dann doch von der Betonung der Künstlichkeit dieses Ferienressorts unterwandert wird: die pastellfarbene Arbeitskleidung der Angestellten, die „Gesichtslosigkeit“, die sich Armond von diesen wünscht und ein vom kanadisch-chilenischen Komponisten Cristobal Tapia de Veer großartig vertonter Vorspann, der eine exotisch anmutende Wandtapete lebendig werden lässt, während die Musik ins Ungezügelte, Wahnsinnige abdriftet. Der einwöchige Aufenthalt im „White Lotus“, so suggeriert dieser Anfang, wird unvergesslich – im besten wie im schlimmsten Sinne.

Der Klassenreigen

Die Gäste, die Armond mit seiner Truppe empfängt, sind fast ausnahmslos reich, schön und weiß: Ausnahmen bilden lediglich Paula (Brittany O’Grady), eine junge Woman of Color, die ihre beste Freundin Olivia Mossbacher (Sydney Sweeney) auf den Familienausflug begleitet, und Rachel (Alexandra Daddario), die aus bescheidenen Verhältnissen stammt und im ‚White Lotus‘ die Flitterwochen mit ihrem reich geborenen Angetrauten Shane (Jake Lacey) verbringt. Dieser hat kurz nach Bezug der wunderschönen Unterkunft den grausigen Verdacht, dass man ihnen die eigentlich gebuchte Flitterwochen-Suite vorenthält. Daraufhin bricht ein passiv-aggressiver Kleinkrieg zwischen ihm und Armond aus, der Rachel wiederum zu ernsthaften Zweifeln an der Vermählung veranlasst.

"The White Lotus" Serie HBO

Frisch verheiratet und noch zufrieden: Rachel (Alexandra Daddario) und Kotzbrocken Shane (Jake Lacy) | © Home Box Office, Inc.

Währenddessen haben Olivias Eltern, die erfolgreiche Tech-Geschäftsfrau Nicole (Connie Britton) und der Hypochonder Marc (Steve Zahn), jede Menge Eheprobleme, Neurosen und Selbstgerechtigkeit im Gepäck. Als Marc überzeugt davon ist, Hodenkrebs zu haben, beruhigt ihn Nicole mit der Unsinns-Weisheit: „Good things happen to good people.“ Ein gefundenes Fressen für die Studentinnen Paula und Olivia, die sich die Woche über ungeniert über die verachtenswerten Attitüden der Oberschicht lustig machen, als würden sie ihr (in Paulas Fall zumindest zeitweise) nicht angehören. Als den beiden der Drogenvorrat abhandenkommt und Paula sich in den Kellner Kai (Kekoa Scott Kekumano) verguckt, ist diese Freundschaft zunehmend belastet.

Zu guter Letzt sei noch die von Jennifer Coolidge brillant verkörperte Tanya McQuoid erwähnt: eine dauerverwirrte reiche Dame, die mit ihrer dramatisch-weinerlichen Art die ohnehin unter Druck stehenden Angestellten noch nervöser macht. Als Massagetherapeutin Belinda (Natasha Rockwell) sich ihrer annimmt, ahnt sie noch nicht, wie unstet Tanyas Stimmungen wirklich sind. Ebenso wenig kriegt Belinda mit, in was für eine Abwärtsspirale ihr seit fünf Jahren cleaner Chef Armond durch den Streit mit Shane gerät.

Kühle, schwarzhumorige Sozialsatire

The White Lotus ist ein Machwerk, wie man es von Mike White nicht unbedingt erwartet hätte: Als langjähriger Drehbuchautor wirkte er unter anderem an der Teenie-Drama-Serie Dawson’s Creek mit und in Kollaboration mit Jack Black an den Komödien School of Rock und Nacho Libre. Umso schöner, dass er für HBO eine weitere Facette seines Könnens zeigen kann, die auf eine feinsinnige Beobachtungsgabe für gesellschaftliche Komplexe schließen lässt. Diese scheint im Verlauf von The White Lotus auf kunstvolle Weise zunehmend durch, aber ohne dass diese Mini-Serie sich jemals vollkommen im Dramatischen oder Komödiantischen verorten lässt.

Am ehesten kann man The White Lotus zuschreiben, eine kühle Sozialsatire zu sein, deren Abwesenheit an Sympathiefiguren aber keineswegs ein Manko ist. Ähnlich wie bei der großartigen Serie Succession über eine dysfunktionale Mediendynastie, ist der Plot von The White Lotus mit all seinen Cringe-Momenten auf stimulierende Weise unangenehm. Und nach und nach schälen sich aus dem Plot sehr interessante Befunde zu Klassenschranken, dem unbewussten bis nonchalanten Ausbeutungsverhalten der Oberschicht und dem Selbstbetrug der Angestellten heraus. Das Ganze mündet schließlich in eine entlarvende Pointe. Gegen Ende zeichnet sich nämlich überdeutlich ab, was die Figuren gemein haben, die diese ins Wahnsinnige abgedriftete Woche nahezu unbeschadet, gar glücklich überstanden haben, während andere abgestürzt sind.

"The White Lotus" Serie HBOThe White Lotus

USA 2021
Regie, Drehbuch, Idee: Mike White
Besetzung: Murray Bartlett, Connie Britton, Jennifer Coolidge, Steve Zahn, Alexandra Daddario, Jake Lacey, Fred Hechinger, Sydney Sweeney, Brittany O’Grady, Natasha Rockwell, Molly Shannon
Mini-Serie, 6 Episoden
Episodenlänge: ca. 60 Min.
Verfügbar auf Sky Ticket seit 11. Juli 2021

culturshock-Wertung: 8/10

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