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Filmkritik: Don’t worry, weglaufen geht nicht

Ein verlassener Rollstuhl in der Wüste, umringt von ratlos umherschauenden Cops zu Pferde. Einer versichert den anderen: „Don’t Worry, he Won’t Get Far On Foot.“ („Keine Sorge, er wird nicht weit kommen.“) Dieser titelgebende Cartoon stammt aus der Feder von John Callahan (1951-2010), der sich mit Vorliebe über den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderung und Krankheit lustig machte, aber auch gern mal gegen Lesben und Chinesen austeilte.

Nichts war ihm heilig, seine Cartoonzeichnungen hingegen äußerst heilsam für ihn. Im frühen Teenageralter verfiel er dem Alkohol und nach einem Autounfall mit 21 Jahren war er querschnittsgelähmt. Wie er danach zu sich, seinem Lebenswillen und seiner Berufung fand, zeichnet Gus Van Sant in Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot nach – manchmal bewusst unkonventionell und dann wieder mit altbewährten Motiven solcher Heilungsgeschichten. Doch eine Darbietung sorgt dafür, dass diese Tragikomödie doch herausragt. Und nein, ausnahmsweise ist das nicht Joaquin Phoenix.
Und es ist auch nicht Udo Kier, obwohl man mehr als überrascht ist ihn in dieser Nebenrolle als Mitglied einer Selbsthilfegruppe zu entdecken. Es sind die 70er Jahre und in einer prächtigen Villa in Portland (Oregon) sitzen mehrere Leute beisammen, die alle ein Problem mit Alkohol haben und über die schlimmsten Episoden ihrer Sucht berichten. Einer davon hat feuerrote Haare, sitzt im Rollstuhl und beginnt pointiert über seine Mutter zu sprechen, die ihn als Baby zur Adoption freigab. Schnitt – und er erzählt die gleiche Geschichte auf einem Podest vor Publikum. Schnitt – und es geht um John (Joaquin Phoenix) als 21-Jährigen am letzten Tag, an dem er laufen konnte.
Don't Worry

John Callahan vor seinem Unfall (Joaquin Phoenix) | © 2018 AMAZON CONTENT SERVICES LLC / Scott Patrick Green

Gegen die Linearität biographischen Erzählens

Gus Van Sant (Good Will Hunting, Milk, Gerry) hatte offenbar wenig Lust, die Lebensgeschichte von John Callahan linear zu erzählen und wählte stattdessen für Don’t Worry einen interessanten, fragmentarischen Ansatz. Episoden aus Johns Leben werden begonnen, dann von kurzen aufschlussreichen Momenten oder anderen Episodenteilen unterbrochen, bevor sie später wieder aufgegriffen werden. So sehen wir ihn etwa im Stadium der Suchtbekämpfung umringt von Gleichgesinnten, dann wieder kurz nach dem Unfall im Krankenhaus, in dem ihm ein Arzt mit der Einfühlsamkeit eines Schlagbohrers die ernüchternde Diagnose mitteilt, und dann als trinkenden verzweifelten Mann im Rollstuhl, der ohne Hilfe nicht einmal die begehrte Flasche Tequila aufschrauben kann. Nach kurzer Eingewöhnung funktioniert diese Erzählweise unheimlich gut und wird noch dazu später von kurzen animierten Callahan-Cartoons aufgelockert. Statt einer linearen Erlösungsgeschichte präsentiert uns Van Sant damit strukturell eine Art voranschreitender Collage aus folgenreichen Fehlern, Tiefpunkten, Abstürzen, aber auch Vergebung, Hoffnung und Lebensmut.

Abgetretene Stufen

Der Inhalt vieler Episoden wendet sich dann aber doch wieder Wohlbekanntem zu: Das Gelassenheitsgebet, die zwölf Stufen des Anonyme Alkoholiker-Programms, die Überwindung von Selbstmitleid und die Entschuldigungstour. So in etwa kennen wir das, was Don’t Worry hier immerhin abwechslungsreich arrangiert, aus vielen Suchtdramen. Da wäre es doch schöner gewesen, wenn Van Sant den Fokus stärker auf die Thematik der politischen Unkorrektheit und den Umgang Callahans mit den Protesten gegen seine Cartoons gelegt hätte.
Don't Worry

John und sein AA-Sponsor Donnie (Jonah Hill) | © 2018 AMAZON CONTENT SERVICES LLC / Scott Patrick Green

Ein ungewöhnlicher Unterstützer

Und doch reißt eine Figur Don’t Worry aus diesem konsequenten Durcharbeiten der Suchterkenntnis heraus und verleiht diesem Drama eine besondere Note. Donnie, der schwule wohlhabende Sponsor von Johns AA-Gruppe. Gespielt wird er von Jonah Hill mit einer Art herablassender Güte, mitleidlos trockenem Humor und gedämpfter Exaltiertheit. Dies kreiert nicht nur die lustigsten sondern auch die berührendsten Momente in Don’t Worry, etwa wenn Donnie John erklärt, warum er seine AA-Schützlinge ‚Ferkel‘ nennt. Damit kriegt Gus Van Sants Film doch noch die Kurve zum sehenswerten und bewegenden Drama über Selbstzerstörung und Erlösung.

 

Don’t worry, weglaufen geht nicht

(Original: Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot)

USA 2018

Länge: 113 Min.

Regie & Drehbuch: Gus Van Sant

Besetzung: Joaquin Phoenix, Jonah Hill, Rooney Mara, Jack Black, Beth Ditto

Kinostart Deutschland: 16. August 2018

culturshock-Wertung: 7/10

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