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Filmkritik: Light of my Life

FANTASY FILMFEST: Eine Welt, in der fast alle Frauen einer Pandemie erlegen sind und ein Vater um das Überleben seiner Tochter kämpft – eine erzählerische Prämisse, die hätte funktionieren können. Wenn Regisseur/Drehbuchautor/Hauptdarsteller Casey Affleck hieraus nicht ein ärgerliches Absolutionsprojekt gemacht hätte.

Eine Welt ohne Frauen

Es ist ein bestürzendes, aber kaum innovatives dystopisches Szenario, das uns in Casey Afflecks Light of my Life begegnet. Zehn Jahre vor Beginn der Handlung ist die Hälfte der Weltbevölkerung einer Pandemie erlegen – wohlgemerkt: die weibliche Hälfte. Damit sehen wir uns zum einen mit einem ähnlichen Szenario konfrontiert wie in Alfonso Cuaróns großartigem Endzeit-Film Children of Men (2006). Dieser präsentierte uns eine an Hoffnungslosigkeit zerbrechende Gegenwart, in der seit achtzehn Jahren keine Babys mehr geboren wurden. Zum anderen konzentriert sich Light of my Life auf ein Vater-Kind-Gespann, das durch eine von knappen Ressourcen und marodierenden Banden geprägte Welt vagabundiert. Dies erinnert stark an The Road (2009), die Verfilmung von Cormac McCarthys ungeheuer deprimierenden, aber empfehlenswerten gleichnamigen Roman.

Light of my Life

Story-Time: Rag (Anna Pniowsky) hört sich noch eine Geschichte von ihrem Vater (Casey Affleck) an.

Zwischen diesen beiden Polen eines allumfassenden dystopischen Szenarios und der Konzentration auf die letzten Hoffnungsträgern für die menschliche Existenz siedelt sich Light of my Life mit der Besonderheit seiner Prämisse an: Die Hoffnungsträger in dieser Welt ohne Frauen sind eine namenloser Vater (Casey Affleck) und seine 11-jährige Tochter Rag (Anna Pniowsky). Rag war gegen die mysteriöse „Frauen-Pest“, der auch ihre Mutter (Elisabeth Moss) erlag, immun.

Erzwungene Isolation

Der Großteil von Light of my Life besteht aus dem ziellosen Umherwandern von Rag und ihrem Vater. Sie halten sich vorwiegend in Wäldern auf, campieren dort und meiden das, was von den Städten übriggeblieben ist. Zu Rags zunehmendem Verdruss muss sie sich als Junge ausgeben, trägt kurzgeschnittene Haare und burschikose Kleidung. Der Vater tut sein Möglichstes, um Rag mit abgewandelten Geschichten, etwa von Noahs Arche, bei Laune zu halten, aber beantwortet ihre drängenden Fragen zur Zukunft nur ausweichend. Die Gründe für den Zwang zur Isolation werden nur angedeutet: Jeder Fremde, der ihnen auf ihrem Weg begegnet, zeigt sich zunächst überrascht, ein Kind zu sehen, mustert dann aber die Heranwachsende sehr aufmerksam. Und sobald sich die beiden irgendwo niederlassen, tauchen früher oder später Männer auf, zu denen das Gerücht durchgedrungen ist, dass Rag ein Mädchen sein könnte.

Diese Struktur wiederholt sich mehrfach innerhalb der zwei Stunden von Light of my Life. Dazwischen füllt Casey Affleck als umsorgender Beschützer die Leinwand. Affleck, von dem auch das Drehbuch stammt, hat den Vater als sanften Frauenversteher konzipiert, der beispielsweise eine dahinrottende Bibliothek nach passenden Ratgebern durchstöbert, um den Zugang zu seiner vorpubertären Tochter nicht zu verlieren. Zudem ist er ein unbewaffneter Pazifist, der bis hierhin seine Tochter anscheinend ohne Gewaltanwendung vor ihnen zu Leibe rückenden Männern verteidigen konnte. Die Gutartigkeit des Vaters, die wertvollen Weisheiten, die er seiner Tochter mit seinen Geschichten mit auf den Weg gibt, nehmen in Light of my Life so viel Raum ein, dass es schwerfällt, hierin keinen misslungenen Selbsterklärungsversuch von Casey Affleck hinsichtlich seines Umgangs mit Frauen zu sehen.*

Träge Dystopie

Das ist schade, denn mit Anna Pniowsky hat Affleck eine fähige junge Schauspielerin an seiner Seite, die ihre Befremdung mit der sie umgebenden, in die Binsen gegangenen Welt und ihre wenigen lebensfrohen Momente ausdrucksstark und einfühlsam transportiert. Man hätte ihr mehr Zeilen, mehr Konflikte mit ihrem sie behütenden, aber weitgehend planlosen Vater gewünscht. Und man hätte dies auch dem Film im Allgemeinen gewünscht, der auf zweierlei Eruptionen zuzulaufen scheint – eine emotionale zwischen Vater und Tochter und eine gewaltsame zwischen diesen beiden Hoffnungsträgern und der sie umgebenden Gefahr.

Light of my Life

Was dem Film gut getan hätte: mehr Rag (Anna Pniowsky), weniger Vatergeschichten.

Lediglich letztere ereignet sich auch tatsächlich, und dies auch wieder in Form einer gesichtslosen, sie anfallenden Männerhorde. Es gibt keinen Versuch die Strukturen dieser neuen kaputten Männer-Gesellschaft näher in Augenschein zu nehmen. Zwar werden zwischendurch immer mal wieder interessante Informationen eingestreut – etwa, dass Rag nicht die einzige weibliche Überlebende der Pandemie ist, oder dass schon kurz vor dem Aussterben der Frauen die Gewalt eskalierte. Aber im Großen und Ganzen lässt uns Light of my Life im Dunkeln der erzwungenen Isolation seiner beiden Protagonisten. Und dies nicht eben, um die Vater-Tochter-Beziehung näher zu beleuchten, sondern vor allem um den Seelenzustand der aufopferungsvollen Vaterfigur ins Licht zu rücken. Afflecks Film funktioniert daher weder als Entschuldigungs-/Selbsterklärungsprojekt, noch als Dystopie, die tatsächlich etwas Substanzielles über das zwischenmenschliche und -geschlechtliche Miteinander zu sagen hätte.

*Als er 2017 den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere mit dem Oscar für seine Hauptrolle in Manchester by the Sea erlebte, wurden wieder Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Casey Affleck laut: Während der Dreharbeiten an seinem Regiedebüt, der Mockumentary I’m Still Here (2010) sollen zwei weibliche Crewmitglieder von ihm und anderen männlichen Kollegen sexuell belästigt und rundherum schäbig behandelt worden sein. Wie in vielen, im Zuge der #MeToo-Debatten wieder öffentlich aufgerollten Fällen hatte auch hier Aussage gegen Aussage gestanden und eine außergerichtliche Einigung schließlich für Stillschweigen gesorgt. Dennoch hatte Affleck 2018 nach Protesten davon abgesehen, den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle zu präsentieren.

Light of my Life

USA 2019
Regie & Drehbuch: Casey Affleck
Kamera: Adam Arkapaw
Besetzung: Casey Affleck, Anna Pniowsky, Elisabeth Moss, Tom Bower, Timothy Webber, Hrothgar Mathews
119 Min. Kinostart Deutschland: unbekannt
Gesehen auf dem Fantasy Filmfest Berlin

culturshock-Wertung: 5/10

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