Filmkritik: Mängelexemplar
Laura Lackmann hat Sarah Kuttners Erfolgsroman Mängelexemplar verfilmt – und sich dabei leider nicht genügend Freiheiten genommen.
VJane-Literatur
Ende der Nuller Jahre, als das deutsche Musikfernsehen bereits im Sterben lag und Jahre nachdem ihre dort ausgestrahlten Shows schon abgesetzt waren, veröffentlichten die Ex-‚VJanes‘ Charlotte Roche und Sarah Kuttner ihre Debütromane. Roches mitunter als Ekel-Prosa verschrienes Werk Feuchtgebiete sorgte bald aufgrund seiner expliziten Körperlichkeit für Feuilleton-Furore. Sarah Kuttners Mängelexemplar trat hingegen thematisch etwas sanfter aufs Parkett, drehte sich aber ebenfalls um ausgiebige Introspektion.
Es ging darin um eine 27-jährige Berlinerin, die aufgrund ihrer emotionalen Unberechenbarkeit nacheinander ihren Job, ihren Freund und ihre beste Freundin verliert und sich schließlich in einer Therapie ihren Angstattacken und Depressionen stellt. Auf dem Weg dahin zieht sie unentwegt Gedankenkreise um sich und ihr Leben, findet für den „blöden Penner Angst“ allerlei Kraftausdrücke und schließlich zu sich selbst. Regisseurin Laura Lackmann hat diesen Roman nun verfilmt und es geschafft, dessen Geschwätzigkeit auf die Leinwand zu übertragen. Leider.
Inszenierte und ‚echte‘ Kaputtheit
„Ich habe gerade mein inneres Kind getötet“ zischt Protagonistin Karo (Claudia Eisinger) der Sprechstundenhilfe in der psychiatrischen Praxis zu, nachdem wir sie zu Beginn des Films mit einem kleinen Mädchen auf dem Rücken über die Oberbaumbrücke sprinten sahen. Wie es zu dieser dramatischen Selbstdiagnose kommt, wird anschließend anhand der Vorgeschichte und unter ständiger Begleitung von Karos Gedanken ausgebreitet. Karo arbeitet in einer hippen Eventagentur, hat einen coolen DJ als Freund und lebt mit ihren Waschbäraugen, dem abgeblätterten Nagellack, dem wirr zurechtgestylten Haar und entsprechend kombinierten Klamotten einen an der Mediaspree allzu beliebten Kaputtheits-Schick.
Dass dieser tatsächlich auch auf ein inneres Chaos verweisen soll, wird klar, als ihre Chefin sie mit der Kündigung konfrontiert. Zu emotional und unberechenbar sei sie. Was Karo dabei durch den Kopf geht, bestätigt uns dies prompt. Es folgen ein Wutanfall im Baumarkt, die absehbare Trennung von ihrem angehobenen DJ-Freund, ein Zwist mit der besten Freundin Anna (Laura Tonke) und schließlich Herzrasen und Angstattacken, die sie in die Arme ihrer Mutter Luzy (Katja Riemann) und in Sitzungen mit der Psychologin Annette (Maren Kroymann) treiben. Wir sehen Karo verzweifeln, vor sich hin vegetieren und hören sie dabei allzu häufig über ihren Seelenzustand sinnieren.
Kalkulierte Kulleräugigkeit
Es gibt keine Möglichkeit, sich dieser Figur zu entziehen und dass man sich auf diese Aussicht anfangs nicht freuen mag, scheint zunächst so gewollt. Eine dauerhaft angepisst dreinschauende Figur, deren Gedanken ständig um sich selbst kreisen, kann man nicht so leicht mögen. Eine Figur, die zudem ganz vergisst, ihrer besten Freundin bei einem familiären Trauerfall beizustehen und stattdessen einem Typen nachhängt, den sie nicht einmal mag, geschweige denn liebt, soll man nicht mögen. Doch nachdem Karo ihre sozialen Stützen wegbrechen und sie sich mit dem Beginn einer langwierigen Therapie konfrontiert sieht, sollen sie sich dann wohl doch einstellen: Sympathie und Mitgefühl. Weshalb das (zumindest in meinem Fall) nicht gelingt, liegt am nicht überzeugenden Konzept von Authentizität in diesem Film.
Es ist legitim, für den tragikomischen Tonfall des Films sogar notwendig, dass bestimmte Charakteristika von Figuren und Setting leicht überzogen sind. Doch diese sollten zumindest innerhalb der Fiktion überzeugen. Wenn man also etwa über die kaltherzige, aber seltsam anbiedernde Manier lachen soll, in der Karo von ihrer Chefin entlassen wird, sollte letztere mit ihrer übergroßen Brille und der schmollenden Schnute nicht so karikaturesk wirken.
Wenn man Karos Wutanfall über ein weinendes Mädchen im Baumarkt schockierend finden soll, sollte letzteres vielleicht nicht so ein Abziehbildchen des verwöhnten Großstadtgörs darstellen. Und wenn man Karo im Umgang mit ihrer psychischen Erkrankung ernst nehmen soll, sollte sie ab einem Punkt vielleicht ihre Heike Makatsch-hafte Kulleräugigkeit wenn schon nicht ablegen, so zumindest thematisieren. Es sind also weniger die beschriebenen Details, die hier stören, sondern die Tatsache, dass der Film sie uns als für diese Fiktion stimmig verkaufen will. Ganz zu schweigen von der Repräsentierung Berlins in diesem Film.
Berlin, wie es so sein soll
Denn Berlin ist hier, wenig überraschend, nicht mehr als eine launige Mélange seiner gängigsten Klischees. Auf der einen Seite Schnauzer tragende Hipster, als „Rollkoffer-Spastis“ bezeichnete Touristen, Urban Gardener und peinliche Medienfuzzis. Das ‚echte‘ Berlin in Form einer urigen, sich der Gentrifizierung entgegenstemmenden Kneipe und rotzig-frechen Urberlinern auf der anderen Seite. „In einer Welt, in der man nicht mehr weiß, ob jemand einen Schnurrbart im Ernst oder nur zum Spaß trägt, will ich nicht mehr leben“, lässt das Drehbuch Karos beste Freundin Anna an einer Stelle urteilen. Einen Film, der dieses arg abgenutzte Stereotyp des alles ironisierenden Hipsters als spezifisches Detail einer vor kultureller und ethnischer Diversität strotzenden Stadt herauspickt, möchte ich mir nicht ansehen.
Man könnte Mängelexemplar also als klischeebeladene Berlin-Komödie mit einer nervigen Hauptfigur und ohne Tiefgang abtun und sich nicht weiter aufregen. Wenn dieses Werk nicht wunderbare Voraussetzungen gehabt hätte, eine interessante Verfilmung zu werden. Eine engagierte Besetzung von Claudia Eisinger in der Hauptrolle bis hin zu den wesentlichen Nebenrollen, wobei vor allem Katja Riemann als Karos Mutter dem Film Momente von herzerwärmender Echtheit einhaucht. Und eine Regisseurin und Drehbuchautorin, die sich bei der Adaption der Handlung einige Freiheiten erlaubt hat, wenn es um die Verbildlichung von Karos psychischen Problemen geht. An einigen Stellen führt dies auch tatsächlich zu auf- und einleuchtenden Momenten. Doch leider ging die Freiheit nicht weit genug, um sich den problematischen Aspekten der Vorlage zu entziehen.
MängelexemplarNach dem gleichnamigen Roman von Sarah Kuttner culturshock-Wertung: 5/10 |
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