Filmkritik: One of These Days
BERLINALE – PANORAMA. Bastian Günther fokussiert mit One of These Days einen seltsamen und interessanten Auswuchs des amerikanischen Kapitalismus, hat aber einen etwas zu distanzierten Blick auf seine Figuren.
Um an diesem Wettbewerb teilnehmen zu können, muss man kein besonderes Talent besitzen, nichts geleistet haben oder über einen bestimmten Bildungsgrad verfügen. Nur ein wenig Glück ist nötig, damit der eigene Name für die Teilnahme ausgelost wird. Mit einem aufputschenden Werbevideo im texanischen Lokalfernsehen eröffnet Bastian Günthers Drama One of These Days. Hierin sehen wir einen etwas schmierigen Autohändler mit grotesken Entertainmentfähigkeiten seinen jährlich stattfindenden „Hands on“-Contest bewerben. Zu gewinnen gibt es einen nagelneuen, mächtigen Pick-up-Truck, wie sie in Texas gern gefahren werden. Gewinnbedingung: Zwanzig ausgeloste Teilnehmer müssen so lange wie möglich am besagten Truck ausharren, ihn mit einer Hand berühren, bis „the last standing person“ feststeht. Anlehnen oder in die Hocke gehen ist verboten. Alle paar Stunden gibt es kurze Verschnaufpausen. Aber der Erfahrung nach dauern diese tatsächlich existierenden Aushaltwettbewerbe mehrere Tage.
In diesem Jahr hat der junge Familienvater Kyle (Joe Cole) das zweifelhafte Glück unter den Ausgelosten zu sein. Er jobbt für ein paar Dollar die Stunde in einem Schnellrestaurant, während seine Frau Maria (Callie Hernandez) den Großteil ihres Einkommens mit mehreren Knochenjobs nach Hause bringt. Für Kyles Entschlossenheit, diesen Pick-up-Truck zu ergattern, hat sie kein Verständnis. Viel wichtiger wäre ihr, dass er sich um ein regelmäßiges Einkommen bemüht. Doch wie vielen anderen Teilnehmern geht es Kyle um mehr als diesen Truck.
Ein ausdauerndes Thema
One of These Days ist nicht der erste Film, der sich mit solch seltsamen Wettbewerben auseinandersetzt. In jüngerer Zeit taten dies auch das Drama The Safety of Objects (2001) und die Rom-Com Show of Hands (2008). Doch wirklich große Aufmerksamkeit erreichte die kürzlich auch von Quentin Tarantino empfohlene Doku Hands on a Hard Body von 1997. Diese stammt von zwei Filmstudenten, die ein wenig ihre Schnittfähigkeiten üben wollten und deshalb die Teilnehmer des seit 1992 stattfindenden „Hands on a Hard Body“-Wettbewerbs eines Autohändlers in Longview, Texas filmten. Aus den Gesprächen mit den Aushaltern schnitten sie einen interessanten Film zusammen, der diese Art von Wettbewerb international populär werden ließ.
Der Wettbewerb von Longview wurde oft kopiert und fortgesetzt – bis 2005. Ein schockierender Vorfall sorgte damals dafür, dass solche Veranstaltungen zumindest in dieser texanischen Kleinstadt nicht mehr ausgetragen werden. Und auf ebendiesem, hier aus Spoilergründen nicht näher beschriebenen Vorfall beruht auch One of these Days.
Dauerlächelnde Kleinstadtberühmtheit
Die Hands on a Hard Body-Doku stellte den damaligen Wettbewerb als äußerst strapaziös, sehr skurril, aber nicht unbedingt moralisch anfechtbar dar. Bastian Günthers Film übt hingegen von Beginn an Kritik. Diese äußert sich vor allem in der Figur Joan Dempsey (Carrie Preston), die jährlich die Teilnehmer auslost und die öffentliche Veranstaltung auf dem großen Ausstellungsplatz des Autohändlers schließlich moderiert.
Nach außen hin ist Joan eine sich herzlich und nahbar gebende Kleinstadtberühmtheit, die alles im Griff hat. Doch ihr seltsamer Job scheint nur ein willkommenes Mittel zu sein, alles zu verdrängen, was nicht läuft. Ihre Tochter ist vor kurzem ausgezogen und sie ist allein mit ihrer dementen Mutter zurückgeblieben, die mehr Aufmerksamkeit fordert, als ihr Joan geben kann. Zudem beendet ihr Kollege Chris (Cullen Moss) die gemeinsame Affäre, nachdem er sich verliebt hat – wohlgemerkt nicht in sie. Der „Hands on“-Contest scheint das einzige zu sein, was ihr tapferes Dauerlächeln noch rechtfertigt. Daher duldet sie auch keinerlei Kritik an der Veranstaltung und wagt es nicht, über diese näher zu reflektieren.
Mit dieser hält One of These Days sich aber im weiteren Verlauf immer weniger zurück. Gleich zu Beginn des Wettbewerbs wird der Schein der Kameraderie zwischen den Teilnehmenden durch den Fokus auf einige außerordentlich verbissene Männer quasi aufgehoben. So hat der mit solchen Wettbewerben vertraute Kevin (Jesse C. Boyd) es von Beginn an auf psychologische Kriegsführung abgesehen. Kriegsveteran Derek ist ein leicht zu erzürnender Rassist. Und um es allen zu zeigen, hat sich der ältere Walter mit einem Katheter ausgerüstet und verzichtet gänzlich auf Pausen. Die übrigen verfolgen harmlosere, aber nicht minder nervende Strategien wie (laut) aus der Bibel lesen, rhythmisch zur via Kopfhörer konsumierten Musik auf den Truck klopfen oder zusätzlichen Stumpfsinn verbreiten. Der zunehmende Schlafmangel sorgt bald dafür, dass einige aufgeben, mitunter mit körperlichen und seelischen Folgen. Aber eine entsprechende medizinische oder psychologische Betreuung ist fataler Weise nicht vom Veranstalter vorgesehen.
Die dunkle Seite des Amerikanischen Traums
Worauf Bastian Günthers auf einem realen Fall beruhendes Drama abzielt, wird deutlich, aber nicht gleichermaßen spürbar. Im Durchexerzieren der äußerst strapaziösen Teilnahmebedingungen für ein wirklich fragwürdiges Spektakel soll dieses als verantwortungsloser Auswuchs eines unmenschlichen Kapitalismus entblößt werden. Diese Kritik ist mehr als angebracht, trifft aber nicht gänzlich ins Schwarze. Dafür ist die Distanz zu den Teilnehmenden und zum Protagonisten Kyle zu groß. Während Hands on a Hard Body noch urteilsfrei die Menschen in den forschenden Blick genommen hat, die sich tagelang an einen Truck stellen, um ihn zu ergattern, nimmt One of These Days diese recht oberflächlich ins Visier. Zu ihnen gehören zwar einige, rein finanziell Motivierte. Aber es gibt auch Menschen wie Kyle, die an diesen Gewinn die Hoffnung auf eine Kehrtwende in ihren suboptimal verlaufenen Leben knüpfen. Dass wir gerade bei Letzteren kaum Einblick ins Innenleben erhalten und sie uns fremd bleiben, ist schade.
Zum Glück gleicht die herausragende Darbietung von Joan-Darstellerin Carrie Preston, vornehmlich aus Fernsehserien wie True Blood und The Good Wife bekannt, diesen Mangel an Tiefe wieder etwas aus. Vor allem in den Szenen aus ihrem Leben, das sie nach außen hin als frisch und sorgenfrei präsentiert, wird zudem die visuelle Stärke von One of These Days deutlich. Über die strahlenden, sonnendurchtränkten Bilder einer texanischen Kleinstadt scheint sich ein kühler, matter Glanz gelegt zu haben. Dieser unterstreicht, was aus dem amerikanischen Traum von lebensverändernden Chancen und von Hoffnungen, die sich durch harte Arbeit erfüllen, geworden ist. Sofern er jemals mehr war als ein Traum.
One of These DaysDeutschland 2020 culturshock-Wertung: 6/10 |
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