Film

Filmkritik: Nur Gott kann mich richten

Vor zehn Jahren zeigte uns der deutsch-türkische Regisseur Özgur Yildirim mit Chiko, dass gute Gangsterfilme auch hierzulande entstehen können. Darin erzählte er von einem Hamburger Kleinkriminellen (gespielt von Denis Moschitto), der vom prallen Gangsterleben träumte, aufstieg und schließlich von unerwarteter Seite zu Fall gebracht wurde. Yildirims Spielfilmdebüt war rasant, witzig, tragisch – und wirkte dank eines talentierten Casts und hervorragender Dialoge so authentisch wie nur wenige deutsche Filme. Nach zwei Tatort-Episoden und dem klamaukigen Blutzbrüdaz, kehrt Yildirim nun zum Geist von Chiko zurück, mit Nur Gott kann mich richten: Ein multiperspektivisches Gangsterdrama, in dem die Figuren nicht vom Gangsterleben, sondern von einer stabilen, bürgerlichen Existenz träumen – und am Ende ums Überleben kämpfen müssen.

Ausweglose Freiheit

Nach fünf Jahren Knast für einen spektakulär schiefgegangenen Raubüberfall auf einen russischen Drogendealer, sollte Ricky (Moritz Bleibtreu) mit dem Gangsterleben abgeschlossen haben. Und zunächst sieht auch alles danach aus: Nach seiner Entlassung, versucht er sich um seinen dementen Alkoholikervater (Peter Simonischek) zu kümmern und begibt sich auf Jobsuche.

Doch dass er dafür ausgerechnet bei seinem alten Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) vorstellig wird, der beim damaligen Raubüberfall mit von der Partie war und entkommen konnte, lässt an Rickys Hingebung zum aufrechten Leben zweifeln. Latif ist zwar inzwischen Besitzer einer Shisha-Bar – diese läuft aber so mau, dass er Ricky keinen Job anbieten kann. Aber natürlich gibt es da wieder so ein todsicheres Ding, das den beiden jeweils 50.000 Euro einbringen könnte: ein fingierter Überfall bei einer Drogenübergabe. Ricky, der Frankfurt dringend verlassen und eine Bar auf Cabrera eröffnen möchte, willigt ein, Latif zu assistieren. Als dieser am entscheidenden Tag aber von der Polizei aufgehalten wird, muss sich Ricky einen anderen Komplizen suchen.

Nur Gott kann mich richten

Ricky (Moritz Bleibtreu) kümmert sich um seinen Vater (Peter Simonischek)

Und da kommt Rafa (Edin Hasanovic) ins Spiel, Rickys jüngerer Halbbruder, der vom damaligen Raubüberfall nicht nur eine Haftstrafe sondern auch eine schwere Schussverletzung davongetragen hatte. Seit seiner Entlassung tut er zumindest so, als sei er auf der richtigen Spur. Er arbeitet in der Pfandleihe von Erik, seinem verhassten Schwiegervater-in-spe, dem er immer wieder Geld stiehlt. Nach anfänglicher Empörung und Wut gegenüber Ricky und seinem Wahnsinnsvorschlag, willigt Rafa ein. Schließlich träumt er davon, eine Tanzschule mit seiner Verlobten Elena zu eröffnen, die aktuell als Stripperin arbeitet.

Nur Gott kann mich richten

Polizistin Diana (Birgit Minichmayr)

Die unerwartete Dritte

Eine schwierige Beziehung zwischen zwei Brüdern und ein letzter verzweifelter Versuch, das bislang vertane Leben auf die richtige Spur zu bringen – das allein würde schon für eine fesselnde Geschichte ausreichen. Doch Drehbuchautor und Regisseur Yildirim will mehr und bringt eine weitere, unerwartete Perspektive in die Geschichte hinein: die von Diana (Birgit Minichmayr), einer respektierten Polizistin, der das Leben gerade übel mitspielt. Vor kurzem wurde sie von ihrem Mann für eine andere Frau verlassen und nun wird ihr auch noch eröffnet, dass ihre kleine Tochter Lily einen schweren Herzfehler hat. Lily muss auf die Warteliste für ein Spenderherz, was sehr knapp werden könnte. Doch die Liste ist manipulierbar, wie ihr die Ärztin später erklären wird, als sie sie abends aufsucht und sie konspirativ ins Auto winkt (was ist da nur los in Frankfurt?). Für die stolze Summe von 30.000 Euro könne Lilys Name ganz schnell nach vorn rücken.

Es ist Geld, das Diana nicht hat, aber das ihr in Form des großen Heroinpäckchens in die Hände fällt, als die Nerven von Ricky und Rafa erneut beim Raubüberfall versagen. Während also Diana versucht, den Stoff zu verticken, um ihre Tochter zu retten, sind Ricky und Rafa auf der verzweifelten Suche nach dem Päckchen, um nicht von ihrem stiernackigen Auftraggeber ermordet zu werden.

Spannung, Tempo und ein Hang zum Überdramatisierten

Yildirim schenkt diesen drei zentralen Figuren, ihren Konflikten und Perspektiven in seinem Film die gleiche Aufmerksamkeit, was der Geschichte zusätzlich Abwechslung und Spannung verleiht. Nach den anfänglichen Plänen geht es für Ricky und Rafa ebenso wie für Diana nicht mehr ums Geld, sondern um Leben und Tod. Ab diesem Moment versteht man jede der Figuren und weiß zugleich, dass der Wunsch nach einem Happy End so unrealisierbar ist wie Rickys Traum von einer eigenen Bar auf Cabrera.

Wie schon Chiko entfaltet Nur Gott kann mich richten eine rohe, authentisch wirkende Vehemenz, die fesselt und in der schmerzhaftesten Szene auf eine große soziale Kluft in Frankfurt verweist: Als Ricky aus Verzweiflung seine inzwischen im Wohlstand angekommene Ex-Freundin Valerie (Alexandra Maria Lara) um Geld bittet. Für einen kurzen Moment dringt hier die dunkle, angenagte Seite Frankfurts in das behütete Bürgertum, und man kann Rickys Scham ebenso gut verstehen wie Valeries Entsetzen.

Dass der Showdown von Nur Gott kann mich richten ebenso wie der Filmtitel überdramatisiert ist, kann man Yildirim leicht verzeihen – seiner Erzählhingabe sei Dank. Dieses rasante Gangsterdrama lässt mitfühlen und -fiebern und macht Hoffnung darauf, dass deutsche Serienproduktionen bald auch von solch einem Können profitieren werden. Schließlich wird Özgur Yildirim zusammen mit Oliver Hirschbiegel die Regie bei der zweiten Staffel von 4 Blocks übernehmen.

 

Nur Gott kann mich richtenNur Gott kann mich richten

Deutschland 2017

Regie & Drehbuch: Özgür Yildirim

Besetzung: Moritz Bleibtreu, Kida Khodr Ramadan, Edin Hasanovic, Birgit Minichmayr

99 Min. Kinostart Deutschland: 25. Januar 2018

culturshock-Wertung: 6/10

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