Eine Nachbetrachtung zu den Fantasy Filmfest White Nights 2018 in Berlin
Nun fängt wirklich der Ernst des Lebens an – zumindest fürs Fantasy Filmfest. Im vergangenen Jahr hat das Festival für den fantastischen Film (Horror, SciFi, Thriller etc.) sein 30-jähriges Bestehen gefeiert und steuert nun als immer besser besuchtes Publikumsfestival auf ein Luxusproblem zu: Der Horrorfilm, einst Kern-Genre des Festivals, wird immer vielfältiger und salonfähiger. Dementsprechend wird es vermutlich schwieriger, eine Filmauswahl zu treffen, die sowohl eingefleischte Genre-Fans als auch das sich mehrende ‚Prestige Horror‘-Publikum anzieht und zudem brandaktuell ist. Das Fantasy Filmfest kommt diesem Andrang entgegen, in dem es auf Masse setzt und seine Frequenz erhöht – statt sein Potenzial als Genre-Festival voll auszuschöpfen.
So finden zusätzlich zum Hauptfestival im September seit 2003 auch die Fantasy Filmfest Nights jährlich zum Frühjahr statt. Und damit man auch im Winter gut versorgt ist und aktuelle Genre-Filme bis zum Frühjahr nicht an Anziehungskraft verlieren, gibt es seit 2015 auch noch die Fantasy Filmfest White Nights. Am vergangenen Wochenende präsentierte dieser Festival-Ableger in Berlin zehn Filme, von denen ich sechs gesehen habe. Zunächst einmal kurze Eindrücke von den interessanten darunter:
Galgenhumor, Zeitschleifen und eine Festival-Perle
Les Affamés (Kanada 2017) bediente das nach wie vor präsente Interesse an Zombie-Filmen mal auf nicht ganz so plumpe Art: Regisseur Robin Aubert schien hier weniger Interesse an grausigen Zerfleischungsszenen zu haben, sondern vielmehr an seinen Figuren. Diese sind über eine kanadische Kleinstadt verteilt und halten sich, nachdem sie schon zahlreiche Freunde und Familienmitglieder begraben mussten, mit Trotz, Wut und einer gehörigen Portion Humor am Leben. So erzählen sich die beiden Kumpel Bonin und Vézina noch fröhlich „Ein Mann geht zum Arzt“-Witze, bevor auch letzterer einem Biss erliegt und Bonin sich ohne ihn durchkämpfen muss. Lange bleibt er nicht allein und ganz vergeblich bleibt sein Überlebenskampf auch nicht. Eine sehenswerte, nachdenkliche Variante eines sich derzeit totlaufenden Genres.
Nachdenklich kann auch The Endless (USA 2017) einen stimmen: Der neueste Streich des amerikanischen Regie-Duos Justin Benson und Aaron Moorhead deutet auf eine größere Vision der beiden hin. Nach ihrer schönen Horror-Romanze Spring von 2014 widmen sich Benson und Moorhead in diesem SciFi-Drama einer Geschichte um zwei Brüder, die vor 10 Jahren einer sektenartigen Kommune entflohen sind. Aaron, der jüngere der beiden, ist so desillusioniert von der ‚realen‘ Welt, dass er seinen Bruder Justin überredet, der Kommune einen Besuch abzustatten. Die Mitglieder heißen die beiden Brüder willkommen und üben keinerlei Druck auf sie aus. Dennoch wundern sich Justin und Aaron zunehmend darüber, dass ihre Freunde von einst keinen Tag gealtert zu sein scheinen und auch ansonsten die Zeit hier ihre ganz eigenen Wege geht. The Endless entfaltet im gemächlichen Tempo eine interessante Reflexion über Zeitschleifen, Ursache und Wirkung sowie geschwisterliche Konflikte und Verschwiegenheiten. Dass Benson und Moorhead selbst die Hauptrollen übernommen haben und ihre Dialoge manchmal etwas hölzern daherkommen, ist zwar ein klares Manko. Aber man kann darüber hinwegsehen, wenn sich etwa an entscheidender Stelle ein Aha-Effekt einstellt (den aber nur hat, wer das Debüt Resolution von ihnen kennt). Jedenfalls schafft es The Endless tatsächlich ein gewitztes Ende zu finden – und noch dazu darauf hinzuweisen, dass Benson und Moorhead mit diesem Erzähluniversum noch nicht fertig sind. Man darf gespannt sein.
Und dann hatten die White Nights auch noch die Festival-Perle schlechthin zu bieten: Lynne Ramsays in Cannes gefeierten Psycho-Thriller A Beautiful Day. Eine ausführlichere Besprechung zu diesem wirklich bemerkenswerten Glanzstück gibt es hier. Und wer an neuartigen Erzählimpulsen in nicht vor schwierigen Themen zurückschreckenden Filmen interessiert ist, dem ist dringend empfohlen, sich A Beautiful Day zum offiziellen Kinostart im Frühjahr anzuschauen!
Mainstream-Grusel und Glitzer-Fetisch
Und nun zu den mittelprächtigeren Festivalfilmen: Da wäre zunächst einmal der vom Veranstalter als „sehr gruselig“ angekündigte Spuk-Horror Ghost Stories (Großbritannien 2018) von Jeremy Dyson. Die Geschichte um einen selbsternannten Krieger gegen den Glauben ans Übersinnliche fängt recht vielversprechend an. Doch leider verliert sie sich anschließend in drei recht unoriginellen (wenn auch mitunter zumindest lustigen) Episoden, um das ganze schließlich in einen auf grausame Weise moralisierenden Twist münden zu lassen. In Großbritannien wird dieser Film auf ähnliche Weise gefeiert wie 2013 der ebenfalls unoriginelle The Conjuring in den USA. Beides sind Beispiele dafür, wie einfallslos man mit Horror heutzutage hantieren kann, um ein Mainstream-Publikum und Genre-unerfahrene Kritiker zu überzeugen.
Einfallslosigkeit kann man dem mexikanischen Regisseur Guillermo del Toro nicht vorwerfen, wohl aber die allzu plumpen Gegenwartsbezüge, die er in seinem romantischen Monster-Märchen The Shape of Water präsentiert. Von der Kritik fast einstimmig gefeiert, in Venedig mit dem Goldenen Löwen bedacht und derzeit als Oscar-Favorit gehandelt, gehört jegliches Gemäkel am scheinbaren Meisterwerk natürlich einer Minderheit an, aber wen’s interessiert: Hier entlang.
Damit nach diesen beiden recht gehypten Filmen die White Nights noch ein wenig Abgründiges zu bieten haben, wurde noch das belgisch-französische Arthouse-Geballer Let the Corpses Tan gezeigt. Der (zugegeben großartige) Titel hält zwar, was er verspricht: Vor mediterraner Kulisse wird hier getötet und gebräunt, was das Zeug hält. Schließlich geht es um einen Kofferraum voll Goldbarren, mit der sich eine Gangstertruppe nach ihrem Coup in eine Künstlerkolonie verschanzt. Eine krude und auf Dauer ermüdende Mischung aus Thriller, Western, Giallo, Farbeffekten und jeder Menge Fetisch tischt uns das Regie-Duo aus Hélène Cattet und Bruno Forzani hier auf. Das Ganze hat aber deutlich weniger Tempo als der Trailer vermuten ließ und ärgert auf Dauer mit der ewigen, künstlerisch so anspruchsvollen Effekthascherei.
Dies also ein kleiner Querschnitt durchs diesjährige White Nights-Programm. An dieser Stelle sei zunächst gesagt, dass ich nach wie vor gern zum Fantasy Filmfest gehe, weil es zwischen den vorhersagbaren oder ins Nichts laufenden Geschichten auch immer mal wieder großartige Debüts von Regisseuren mit wirklich einzigartiger Genre-Vision gibt. Man denke nur an A Girl Walks Home Alone at Night, der hier 2015 lief. Man kann Verständnis dafür haben, dass es mit der Zeit und mit dem wachsenden Publikum schwieriger wird, ein alle zufriedenstellendes und dabei herausforderndes Programm zusammenzustellen. Aber es ist bedauernswert, dass hier von den Veranstaltern offenbar kein Versuch unternommen wird, das Fantasy Fimfest zumindest ein wenig weiterzuentwickeln, so etwas wie ein Rahmenprogramm zu den gezeigten Genres zu schaffen und dem Festival etwas mehr Profil zu geben. Stattdessen wird leider wirklich nur ein Film nach dem anderen gezeigt, hier und da noch ein angereister Regisseur im Q&A präsentiert und ein kurzer Eindruck vom nächsten Film gegeben. Wenn dazu die Filmauswahl auch noch immer beliebiger wird und den Genre-Gedanken verwässert, wird dieses nicht ausgeschöpfte Festival-Potenzial leider immer offensichtlicher.