Film

Filmkritik: Oasis: Supersonic

Es war 1996. Und wer beim Lesen dieses Satzes die Anfangsmelodie von Jein (Fettes Brot) hört, ist alt genug, um sich an die Zeit zu erinnern, als Oasis als größte Rockband der Welt galten. In besagtem Jahr spielte die Band aus Manchester an zwei Abenden vor insgesamt 250.000 Menschen, live und Open-Air. 20 Jahre ist das schon her. Und obwohl die Gallagher-Brüder heute heillos zerstritten scheinen, waren sich beide darin einig, dass man dieses Jubiläum nicht einfach so verstreichen lassen kann. Als ausführende Produzenten beteiligten sie sich an Mat Whitecross‘ dokumentarischer Collage Oasis: Supersonic. Ausgehend vom Konzertereignis in Knebworth vollzieht die Doku einen nostalgischen Rückblick auf den rasanten Aufstieg von Oasis und forscht nach dem inneren Antrieb der Band.

Das Ende und der Anfang

Als sich Noel und Liam Gallagher 2009 in einer monumentalen Eskalation (erst flog eine Pflaume, dann folgte ein tätlicher Angriff mit einer Gitarre) endgültig zerstritten, war das das Ende einer 18-jährigen Bandgeschichte, in der nur noch sie als Gründungsmitglieder existierten. Dass es so kommen musste, stellt Noel Gallagher schon im Vorspann zu Oasis: Supersonic fest. Die Beziehung zwischen ihm und Liam sei die größte Stärke von Oasis gewesen, aber trieb die Band schließlich auch in ihren Untergang, erzählt er aus dem Off, nachdem Liam das Ende der Band mit dem Kontrollverlust bei einem Sportwagen vergleicht. In voneinander getrennten Voice-overs begleiten die beiden und einige Weggefährten eine Zusammenstellung von Fotografien, Heimvideos, Konzertaufnahmen und Animationen, die den Weg der Band in der Zeit von 1991 bis 1996 nachzeichnen.

Wie Kain und Abel (oder „Abel & Cable“)

Eine frühe Aufnahme aus dem Proberaum zeigt etwa einen nachdenklich wirkenden Liam, der mit Noel über die alttestamentarische Erzählung um Abel und seinen Bruder, dessen Name ihm nicht einfällt, spricht. „Abel and Cable“, ergänzt Noel. Sie feixen herum, vergleichen ihre Streitigkeiten mit denen des biblischen Brüderpaars und kommen zum Schluss, dass sie sich ja eigentlich liebten. Andere Aufnahmen und Erzählungen von Familienmitgliedern (mehrfach kommen ihre Mutter Peggy und ihr älterer Bruder Paul zu Wort) belegen aber, dass sie dies nicht davon abhielt, sich gegenseitig Erfolge zu missgönnen und miteinander zu konkurrieren – von den spektakulären Beleidigungen und Schlägereien mal abgesehen.

Disziplin und Eskalation

Oasis Supersonic Doku Film

Wie Hund und Katze: Liam und Noel Gallagher

So witzig diese Erläuterung mit Seitenhieb auch ist, könnte man sich fragen, ob dies wirklich zu einer Art ‚Aufarbeitung‘ der Bandgeschichte beiträgt, oder lediglich die Sucht des Publikums nach kurzweiligen Klatschgeschichten um die Gallagher-Brüder bedient. Doch Oasis: Supersonic hält geschickt die Balance zwischen den kurzweiligen Porträtierungen der Gallaghers und ernsthaften Versuchen, den Erfolg von Oasis in der damaligen Zeit zu erklären.

Dass beides mitunter Hand in Hand ging, wird in der Dokumentation am Beispiel der Aufnahmen zum zweiten Album (What’s the Story) Morning Glory? dargelegt: Kurz vor Beginn der Aufnahmen schmiss Noel den Schlagzeuger Tony McCaroll aus der Band, weil er dessen musikalische Fähigkeiten für unzureichend befand – vor allem für seinen neuen Song Champagne Supernova. Herzlos, aber konsequent. Videoaufnahmen aus dem Tonstudio in Wales zeigen, mit welcher Konzentration, Disziplin und Effizienz Noel und Liam ihr wichtigstes und erfolgreichstes Album anschließend einspielten und -sangen, bevor es kurze Zeit später erneut zur Prügelei (diesmal mit einem Cricket-Schläger) zwischen ihnen kam.

Selbstbeweihräucherung und Demut

Trotz zunehmender Differenzen rauften sich die beiden bis zum Schluss immer wieder auf. Allzu deutlich wird im Film, worin ihre Einigkeit lag: in der Überzeugung, dass Oasis die größte Rock-Band der damaligen Gegenwart war. Selbst katastrophale Auftritte wie 1995 im Rockclub Whiskey A Go Go in Los Angeles eröffnete Liam mit dieser Feststellung, wie Originalaufnahmen im Film zeigen. Größenwahnsinnig könnte man meinen, doch zu dem eitlen Selbstlob gesellt sich im weiteren Verlauf von Oasis: Supersonic eine gewisse Demut vor den Fans, die den Erfolg der Band ermöglichten. Keiner von ihnen sei der Beste an seinem Instrument gewesen, gibt Noel da an einer Stelle zu, doch konnten sie Leute in eine undefinierbare Stimmung versetzen. Und schlussendlich: „People will never ever, ever forget the way you made them feel.“

Einzigartig und unwiederbringlich

Oasis Supersonic Doku Film

Prädigital grobkörnig: Oasis-Konzert in Knebworth, 10./11. August 1996

Als Höhepunkt dieser besonderen Chemie zwischen Oasis und ihren Fans wird das Konzertereignis in Knebworth schließlich von den beteiligten Bandmitgliedern eingestuft – und zugleich als eine Art Anfang vom Ende. Die Dinge hätten damals, in der prädigitalen Ära, einfach mehr bedeutet, meint Noel. Und tatsächlich kann man sich die in Oasis: Supersonic gezeigten Zuschauermassen in heutiger Zeit nicht mehr vorstellen, ohne gleichzeitig etliche Smartphone-Displays aufleuchten zu sehen. Der Wert des unmittelbaren Erlebens eines Konzerts ist inzwischen dem Dokumentationszwang für soziale Netzwerke gewichen, was bekannte Musiker wie Jack White regelmäßig monieren. Doch Oasis: Supersonic schließt nicht etwa mit diesem kulturpessimistischen Befund, sondern schlägt vielmehr einen nostalgischen und versöhnlichen Ton an, wenn die Bilder von den jubelnden Massen in Knebworth gezeigt werden. Anders als die Band endet dieser Film damit genau zum richtigen Zeitpunkt. Damit beschert diese Doku Oasis und dem Zeitgeist, der ihren Aufstieg umwehte, ein sehenswertes Denkmal. Nicht nur für Fans.

Oasis Supersonic Doku Film

Oasis: Supersonic

A24, Großbritannien 2016

Regie: Mat Whitecross

117 Min. DVD-/Blu-ray-Start: 11. November 2016

Erschienen bei: Ascot Elite Home Entertainment

Homepage zum Film

culturshock-Wertung: 7/10

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