Film

Filmkritik: mother!

Wie Darren Aronofskys mother! die Gemüter spaltet, für Kopfzerbrechen sorgt und über seine Kritiker triumphiert.

Es fängt schon beim Titel an: Schreibt man Darren Aronofskys neuen Film nun groß oder klein? Ich entscheide mich mal für die auf sämtlichen Kinoplakaten vertretene Version, obwohl da der Ärger für viele schon anfängt: mother! dürfte der wohl kontroverseste Film des Jahres werden. Manche Urteile reichen fast an den angewiderten Kritiker-Tenor zu Lars von Triers Antichrist (2009) heran. Als prätentiöser Kitsch oder sinnfreier Torture Porn wird er da verrissen, mal frauenfeindlich, mal unaufrichtig feministisch. Andere sind mit Deutungen beschäftigt, sehen in ihm einen Aufschrei gegen Umweltzerstörung oder die Menschheit an sich. Religiöse Untertöne werden ihm ebenso unterstellt wie Fanatismuskritik. Damit ist mother! unversehens zum Rorschach-Test für die großen Konflikte unserer Gegenwart geworden.

Zerpflückt und konsumiert

Und obwohl die 33 Millionen Dollar-teure Produktion nach dem ersten Startwochenende schon zum Flop erklärt wird, ist die Vielfalt der kursierenden Meinungen und Deutungen ein großer Triumph für mother!. Denn genau solch ein haltloser Zerpflückungsprozess findet in der grauenerregendsten Szene des Films statt: Wir sehen, wie ein Neugeborenes seiner Mutter (Jennifer Lawrence) entrissen und anschließend durch die Menge getragen wird, bis es ihm aus Versehen das Genick bricht. Die entsetzte Mutter findet anschließend einen abgenagten Kadaver von ihm vor – die Menge hat das Baby getötet, es in Stücke gerissen und sich an ihm gelabt, bis ihr ganz euphorisch und anschließend übel zu Mute war.

mother! Darren Aronofsky

Natürlich muss ein Film mit solchen Szenen empören und anwidern. Es sei denn, es ist alles einem höheren Zweck dienlich und diese Bilder als Symbole zu deuten. Nur wofür? Und so spaltet sich der Großteil des Publikums – Kritiker und Kinogänger gleichermaßen – aktuell in zwei Lager: absolute Ablehnung gegenüber der Existenz einer tieferen Bedeutung des Gezeigten und der fieberhaften Suche nach der einen, ‚richtigen‘ Deutung dieser Bilder.

Aber es gibt auch einen dritten Weg: Man kann diesen zweistündigen, atemlosen Horrortrip einfach bewundern dafür, wie er uns in sich hineinzieht, die Kamera uns an die Hauptfigur fesselt, deren Gesicht wir schon aus einigen Blockbustern zu Genüge zu kennen meinen, aber so noch nie gesehen haben: statuenhaft mit fast wächsern wirkender Haut. Es sagt uns, dass sie nicht von dieser (dargestellten) Welt ist, aber lässt uns dennoch die ganze Zeit über auf eine Auflösung dieses Alptraums hoffen.

Wie sich der Kreis schließt

Wir erhalten diese auch, aber in ungewohnter Weise: Die Figuren sind nicht etwa alle tot oder die Stimmen im Kopf eines Paranoid-Schizophrenen. Vielmehr entpuppt sich, dass sie einen einzelnen Durchgang eines ewigen Schöpfungskreislaufs bewältigen. Diesen kann man aufgrund der archaischen Figurenkonstellation (und dem Kain und Abel-Moment) natürlich religiös deuten und sich darüber aufregen oder Rückschlüsse auf die Aussage des Films zur aktuellen Lage der Menschheit ziehen.

Man kann ihn aber auch als Kommentar auf den Prozess künstlerischen Schaffens anerkennen, mit all seinen Stationen: die hoffnungs- und spannungsreiche Erwartung einer Idee, ihre Empfängnis nach einigen Konflikten, die Geburt des Werks unter Schmerzen und seine vorzeitige Opferung – der Moment, in dem es dem Publikum und den Kritikern präsentiert wird, auf dass sie es konsumieren und beurteilen. Dieser Kreislauf endet schließlich mit der Vernichtung all dessen, was der Künstler während der Erschaffung dieses Werks als sein Heim gesehen hat und der ihn schmerzenden Auslöschung der Inspiration, der Ursprünglichkeit, der ‚Mutter‘ dieses Werks. Bevor ihre Nachfolgerin erscheint und ein erneuter Kreislauf beginnt.

Reinheit der Inspiration

Dies alles betrachten wir in mother! die meiste Zeit über aber nicht aus der Perspektive des Künstlers, sondern der der ‚Mutter‘, also der gütigen, hingebungsvollen Inspiration, die mit Bestürzung mit ansieht, was ihrem Nachkommen angetan wird. Der Film nimmt ihr Leid ernst und erlegt es uns als Zuschauer auf. So wird in mother! der reinen, unkorrumpierten Quelle einer Idee gehuldigt. Dies kann man kitschig und albern finden. Zumindest muss man Aronofsky aber zugestehen, damit ein wirklich konsequent selbstreferentielles Werk geschaffen zu haben, das nicht nur viel über das Erschaffen, sondern auch über das Rezipieren zu sagen hat. Was genau, weiß nur, wer diesen erlebenswerten Film gesehen hat

mother!

USA, 2017

Regie&Drehbuch: Darren Aronofsky

Besetzung: Jennofer Larence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer

122 Min. Kinostart Deutschland: 14. September 2017

culturshock-Wertung: 9/10

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