Film

Filmkritik: Lean on Pete

FILMFESTSPIELE VENEDIG – WETTBEWERB. Eine Coming-of-Age-Geschichte mag man Lean on Pete gar nicht nennen. Denn die in diesem Drama zu Bruch gehende Welt des 15-jährigen Charley Thompson (Charlie Plummer) war ohnehin nie eine behütete.

Noch als Kleinkind wurde er von seiner Mutter verlassen und fortan von seinem, wenn auch nicht gänzlich schlechten, recht verantwortungslosen Vater Ray (Travis Fimmel) erzogen. Vom Lichtblick, den seine Tante Margie für ihn darstellt hatte, hat Charley nur noch ein verblassendes Foto übrig. Seit sich sein Vater mit Margie zerstritten hat, sind die beiden für sich allein und vor kurzem hierher, nach Portland gezogen. Und doch ist aus Charley trotz aller Widrigkeiten ein anständiger junger Mensch geworden. Er ist höflich, bescheiden, einfühlsam und tüchtig.

Während sein Vater ihn den ganzen Tag wegen der Arbeit (und den feucht-fröhlichen Feierabenden) allein lässt und die Schule noch nicht angefangen hat, heuert er spontan beim mürrischen Pferdetrainer Del (Steve Buscemi) als Hilfsarbeiter an. Von Anfang an ist Charley fasziniert von der Welt des Pferderennens. Dabei hat es ihm vor allem das titelgebende Rennpferd Lean on Pete angetan. Während dieses für Del einen anstrengenden Loser darstellt, ist Charley von Petes unentdecktem Potenzial überzeugt. Und tatsächlich entwickelt sich zwischen ihm und dem Pferd eine innige Beziehung. Über die gewonnenen Rennen kann sich Charley aber nur kurz freuen. Die Eskapaden seines Vaters haben Konsequenzen, die schließlich der Teenager ausbaden muss.

Rettung der verbliebenen Empfindsamkeit

Lean on Pete Drama

Gleichgesinnte: Pferd Pete und Charley (Charlie Plummer)

Die Odyssee, die Charley daraufhin auf der Suche nach einem Halt in seinem jungen Leben durchwandern muss, nimmt den Zuschauer unweigerlich mit. Man hofft, bangt und zweifelt zwischenzeitlich gänzlich daran, dass es mit ihm gut ausgehen wird. Von Erwachsenen umgeben, die alle eine äußerst raue Schule des Lebens durchwandert haben müssen, wird Charley immer wieder implizit wie explizit vermittelt, sich an nichts und niemanden im Leben zu binden.

Wie er nicht anders kann, als diese gut gemeinten Ratschläge zurückzuweisen und nur von der Hoffnung auf eine passendere Umgebung zu leben, ist bis zum Schluss herzerwärmend wie -zerreißend mitanzusehen. Dank der sensiblen Darbietung von Charlie Plummer (der hier sehr an River Phoenix erinnert), runder Nebenfiguren und beeindruckender Aufnahmen von der amerikanischen Einöde, die die Hauptfigur durchwandern muss, ist Lean on Pete ein Drama von bemerkenswerter emotionaler Tiefe geworden. Es zeigt, was für einen Wert Sensibilität auch in einer rauen Welt hat und wie man sie sich gegen jeden Widerstand erhält. Absolut sehenswert.

Lean on Pete Drama

Lean on Pete

Nach dem gleichnamigen Roman von Willy Vlautin
Großbritannien / USA 2017
Regie & Drehbuch: Andrew Haigh
Besetzung: Charlie Plummer, Travis Fimmel, Chloë Sevigny, Steve Buscemi, Steve Zahn
121 Min.
Gesehen auf den Filmfestspielen Venedig – Wettbewerb

culturshock-Wertung: 7/10

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