Filmkritik: Der Goldene Handschuh
BERLINALE WETTBEWERB: Fatih Akins Der Goldene Handschuh ist eine Zumutung – auf konsequente und hintergründige Weise.
„Ekelhaft“, „langweilig“, „Zumutung“, „Gewaltporno“ waren einige der Worte, die ich vor Beginn der Pressekonferenz zu Der Goldene Handschuh um mich herum aufschnappen konnte. Keiner von den Filmkritikern, die das noch vor Erscheinen von Regisseur Fatih Akin und anderen am Film Mitwirkenden aussprachen, hat sich dann während der Konferenz geäußert oder eine Frage gestellt. Vermutlich weil dies nichts an ihrer Meinung zum eben Gesehenen geändert hätte. Denn diese Verfilmung von Heinz Strunks 2016 erschienenem Roman polarisiert nicht nur. Sie konfrontiert uns alle mit der Frage, was wir vom Kino erwarten und ertragen.
Drastischer Einstieg
Wer Strunks Roman gelesen hatte, ist im zweifelhaften Vorteil, zu wissen, was im Film auf einen zukommen könnte. Wie in der Vorlage geht es um den Serienmörder Fritz Honka, der in den 70er-Jahren in Hamburg-Altona insgesamt vier Frauen ermordet hat. Der Tatort war in allen Fällen seine kleine Dachgeschosswohnung in der Zeißstraße.
Gleich in der ersten Szene werden wir in diese absolut heruntergekommene Bleibe des Täters verfrachtet, der sich etwas ratlos über die nackte Leiche einer Frau beugt. Unter ihr ist ein Plastiksack ausgebreitet und Honka (Jonas Dassler) will sie offenbar mit einer Handsäge zerteilen. Doch er hält inne, trinkt noch ein großes Glas Korn und setzt dann an ihrem Hals an. Der Rahmen der Szene schließt exakt über dem Torso der Leiche ab, so dass wir das Zersägen nicht explizit zu Gesicht bekommen. Dafür hören wir es und die Geräusche sind markerschütternd. Diese Einstiegsszene sollte jeden Vorwurf entkräftigen, Akin habe einen Gewaltporno gedreht. Auf allzu explizite Bilder und Splattereffekte wurde verzichtet. Da muten uns gefeierte Regisseure wie Nicholas Winding Refn (etwa in Drive und The Neon Demon) deutlich mehr zu.
Unterwegs mit Fritz Honka
Zugleich setzt diese Szene den nüchtern-drastischen Ton für alles Kommende. Wir steigen gleich in die Zeit ein, in der Mittdreißiger Honka bereits Morde verübt und Tag und Nacht mit Saufgelagen zubringt. Vorzugsweise tut er dies in einschlägigen Hamburger Kneipen, wie der Titelgeberin Zum goldenen Handschuh. Akins Team durfte tatsächlich in dieser noch heute existenten Bar einige Szenen filmen, zudem wurde der Innenraum nachgebaut.
Im Handschuh tummeln sich „ab 4 Uhr morgens“, wie die von vergilbten Vorhängen verdeckte Glasfront bewirbt, harte Alkoholiker. Soldaten-Norbert, Tampon-Günther und Doornkaat-Max heißen hier die Stammgäste und in einer der wenigen lustigen Szenen erfahren wir, dass ihre Spitznamen eine Art Auszeichnung sind. Honka wird hier meist Fiete genannt und ist bei seinen nächtlichen Trinkgelagen stets auf der Suche nach weiblicher Bekanntschaft. Wegen seines Äußeren kann er aber nicht wählerisch sein. So nimmt er meist ältere, stark alkoholisierte und mitunter obdachlose Frauen mit zu sich nach Hause.
Milieustudie mit Horrorelementen
Mehrere schwer zu ertragende Szenen zeigen dann, wie die Situation in Honkas Wohnung stets eskaliert. Von den mitgebrachten Frauen erwartet Honka Hörigkeit und dass sie auf seine sexuellen Forderungen eingehen. Er schlägt und erniedrigt sie und wenn er völlig die Beherrschung verliert, ermordet er sie. Gespielt wird Honka vom erst 23-jährigen Jonas Dassler in aufwendiger Maske, die ihn bucklig, schielend, mit unreiner Haut und verfaulten Zähnen erscheinen lässt. Sächselnd (Honka ist gebürtiger Leipziger) und hinkend steuert Dassler durch die Szenen mit einer Intensität, die seine manchmal durch die Maske doch hervorscheinende Jugend vergessen lässt. Als groteske, monströse Figur erleben wir Honka. Dies entspricht Akins Einstufung von Der Goldene Handschuh als Horrorfilm.
Doch diese Genrezuschreibung stimmt nur zum Teil. So geht der Spannungsaufbau von Der Goldene Handschuh zwar eindeutig in diese Richtung. Selbst mit dem Wissen um den Ausgang für die Frauen, die sich in Honkas Wohnung begeben, fiebert man mit. Bei einigen der mit beherzt inszenierten Handgreiflichkeiten scheint sogar kurz die Möglichkeit auf, dass sich das Blatt für das Opfer noch wenden könnte. Doch die dargestellten Morde sind nicht als große Schreckensmomente oder Höhepunkte in Szene gesetzt.
Vielmehr speist sich der Horroreffekt in diesem Film aus der sehr sorgsamen Erkundung des Milieus, in dem Honka agiert. Seine Wohnung, die Bars, die Straßen strömen eine schäbige und elende Trostlosigkeit aus, der man sich nicht entziehen kann. Diese Enge wurde in Heinz Strunks Roman noch mit einer parallel verlaufenden Erzählung von einer Reedereifamilie und durch Rückblenden in Honkas Vorgeschichte aufgebrochen. In Akins Film sind wir ihr und Honkas ausweglos erscheinender Gegenwart ausgeliefert.
Keine Bereicherung für jeden, aber fürs Kino
Zwischen Milieustudie und Horrorthriller siedelt sich Der Goldene Handschuh damit an. Als solcher Genre-Grenzgänger hat sich dieser Film einige Schockelemente einverleibt, die viele von Akin nicht erwarten würden. Doch wie er auf der Pressekonferenz selbst formulierte: „Dieser Film ist nicht für jeden was.“ Das stimmt unbedingt. Er ist brutal und ruft mitunter zielsicher Ekel und Abscheu beim Betrachter aus. Wer hier seine Grenzen des Erträglichen unangenehm überschritten fühlt, sollte und muss sich dem nicht aussetzen.
Aber schwierig wird es, wenn man Akin hier eine moralische Grenzüberschreitung vorwirft. In dieser Zeit, in der True Crime-Formate florieren und uns mit ihren Suspense- und Rätselelementen wohlige Schauer bereiten. Diese ‘Doku’-Serien und -Magazine setzen sich zum Teil auf sehr abgeschmackte und explizite Weise mit grausigen Mordfällen auseinander, werden aber kaum problematisiert. Der Goldene Handschuh wendet sich hingegen der abstoßenden und trostlosen Realität einer Mordserie zu. Bis zum Schluss bleibt er kompromisslos und weicht platten Erklärversuchen für Honkas Handeln konsequent aus. Für mich steht dieser Film damit für eine beherzte und hintergründige Art des Filmemachens, wie man sie generell und insbesondere im deutschen Kino selten sieht.
Der Goldene HandschuhNach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk culturshock-Wertung: 8/10 |
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