Film

Filmkritik: Carmine Street Guitars

Seit 1990 baut Rick Kelly aus geschichtsträchtigem Holz feine E-Gitarren und verkauft sie in seinem New Yorker Laden Carmine Street Guitars. Regisseur Ron Mann will mit seinem gleichnamigen Dokumentarfilm diesem Laden huldigen, greift aber zu ärgerlichen Inszenierungsmitteln.

Wie sich in langwierigen Prozessen und durch harte Arbeit Grobes in Feines verwandelt, bleibt ein faszinierendes Spektakel und dankbares Motiv für zahlreiche Dokumentarfilme. Auch Carmine Street Guitars macht sich diese Faszination zunutze. Das hier dargestellte Handwerk beginnt stets damit, dass auf einem massiven Stück Holz die Umrisse einer Gitarre, genauer gesagt einer E-Gitarre in Leo Fenders Telecaster-Design, gezeichnet werden. Schwer vorstellbar, dass aus diesen Umrissen später eines der feingeschliffenen, polierten und wohlklingenden Instrumente wird, die Gitarrenbauer Rick Kelly ins Schaufenster seines New Yorker Ladens Carmine Street Guitars stellen wird. Aber es ist so. Und das interessanteste an dieser Doku sind die vielen Schritte des schweißtreibenden Handwerks, das nach viel Ausdauer, Geduld und Sorgfalt verlangt. Tugenden, die Regisseur Ron Mann leider fremd zu sein scheinen.

Von Holz und Hölzernheit

Vielmehr tut sich Carmine Street Guitars von Anfang an durch schmerzhaft hölzerne Dialoge hervor, die der ansonsten wohl eher wenig in Kameras hineinfabulierende Rick Kelly mit seiner Auszubildenden Cindy Hulej und vielen Musikern führt, darunter Nels Cline von Wilco und die Singer-Songwriterin Eleanor Friedberger. Letztere singt an einer Stelle ihren Song „I am the Past“, während sie eine der wunderschönen E-Gitarren von Kelly probespielt. Und dies ist einer der wenigen Momente, in dem sich auf subtile Weise zusammenfügt, was Ron Mann wohl vorhatte mit dieser Doku: einem Ort mit Tradition im arg gentrifizierten New Yorker Stadtteil Greenwich Village huldigen. Problematisch hieran sind aber die Mittel, die Mann verwendet, um dieses Motiv zu evozieren.

Carmine Street Guitars Dokumentarfilm

Gitarrenbauer Rick Kelly und Auszubildende (und Geburtstagskind) Cindy Hulej

So suggerieren uns die über den Film verteilten Einblendungen, wir hätten es hier mit einer typischen Woche im seit 1990 bestehenden Gitarrenladen zu tun. Sie beginnt damit, dass Rick Kellys achtzigjährige Mutter mit einem Staubwedel über die Gitarren und die vielen gerahmten Musikerfotos im Laden streicht. Diese zeigen das Kaliber von Kellys Kunden auf, denen unter anderem Lou Reed und Robert Quine angehörten. Dicht aufeinanderfolgend treten mehr und weniger bekannte Musiker durch die Ladentür, denen Rick Kelly seine berufliche Laufbahn schildert, oder schildern muss, wie sein nervöses Gebaren zeigt.

Das Material respektieren und den Zweck ehren

Lediglich, wenn Kelly über sein Lieblingsthema Holz sprechen kann, taut er etwas auf. Man merkt ihm die Hingabe zu diesem Material an, etwa wenn er und Jim Jarmusch, der Ron Mann die Idee zu dieser Doku gab, sich über ihre Lieblingsbäume austauschen. Oder wenn er uns in sein Lager führt, das mit Holz aus alten New Yorker Gebäuden gefüllt ist. Dies ist das Grundmaterial für seine Gitarren, die so auf wahrhaftige Weise einen von New York geprägten Sound erzeugen.

Carmien Street Guitars Dokumentarfilm

Jim Jarmusch kommt vorbei und redet über Bäume.

Der Respekt, den Rick Kelly dem Material für sein Handwerk entgegenbringt, überstrahlt in dieser Doku fast unfreiwillig die Bekanntheit seiner Kundschaft. Zwar kann Kelly selbst Gitarre spielen und genießt es sichtlich, wenn talentierte Musiker in seinem Geschäft jammen, aber er scheint nicht vom Star-Appeal oder Rock’n’Roll-Trubel getrieben zu sein. Er ehrt den Zweck, aus dem mühsam aufgespürten Holz einzigartige Gitarren zu formen. Aber stets scheinen die feinen Maserungen und Rillen des Holzes durch die kunstvollen Verzierungen, die Azubine Cindy in die Gitarren hineinbrennt.

Ganz anders geht hingegen Ron Mann mit dem Material für seine Dokumentation um. Er hat sich gegen eine ordnende Stimme aus dem Off oder eine collagenhafte Erzähltechnik entschieden, sondern eine organischere Form des dokumentarischen Erzählens angestrebt. Für diese hätte man aber reichlich Zeit investieren und viel Material filmen müssen, um es anschließend mühsamst zu selektieren und zurechtzuschneiden – ohne Garantie dafür, dass sich überhaupt eine bewegende Geschichte daraus ergibt. Dies mag nicht Manns Planung und Budget entsprochen haben, weshalb er zu jeder Menge gestellter Situationen gegriffen hat. Ein paar davon funktionieren, etwa wenn The Kills-Frontmann Jamie Hince beim Gitarrenspiel davon erzählt, wie er sich seine rechte Hand mal in der Autotür eingeklemmt und was er daraus gelernt hat. Aber andere sind so ärgerlich, dass man nicht darüber hinwegkommt.

So wird das Gentrifizierungsthema, das generell zum öden Selbstzweck vieler Sozialdokus geworden ist, auf unschöne Weise aufgegriffen, als der neue junge Eigentümer des Nachbargebäudes den Laden betritt. Ob er dies tatsächlich ist oder Ron Mann einen Laiendarsteller engagiert hat, ist so suspekt wie die Szene selbst. Der Yuppie lobt Kellys schöne Gitarren, während Kelly an einer herummontiert, knapp antwortet und ihn keines Blickes würdigt. Hier will die Doku unseren Zorn darüber entfachen, dass rücksichtslose Geschäftemacher die magischen Orte New Yorks zerstören und dabei auch noch vorgeben, diese zu schätzen! Aber von der präventiv betrauerten Magie des Ladens ist in dieser Situation nichts zu spüren. Weil sie sich eben gerade im Nicht-Inszenierten ergibt. Etwa, wenn Rick Kelly im Stillen an seinen Gitarren werkelt und Grobes in Feines verwandelt – mit Ausdauer, Geduld und Sorgfalt.

Carmine Street Guitars DokumentarfilmCarmine Street Guitars

Kanada 2018
Regie: Ron Mann. Buch: Len Blum
Kamera: John Minh Tran, Becky Parsons
Musik: The Sadies
80 Min. Kinostart Deutschland: 29. August 2019

culturshock-Wertung: 6/10

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