Film

Filmkritik: Atomic Blonde

Keine unverwundbare, aber eine zähe Heldin präsentiert uns David Leitch in seinem Spionage-Action-Thriller Atomic Blonde. Wir begegnen ihr zum ersten Mal, als sie aus einem Bad im Eiswasser auftaucht, wobei die Kamera erst ihr von Blutergüssen gezeichnetes Gesicht und dann ihren durchtrainierten ebenso geschundenen Rücken zeigt. Abgekämpft und hartgesotten – das ist Lorraine Broughton, Spionin im Auftrag des britischen Geheimdienstes MI6. Charlize Theron spielt sie mit platinblonder Debbie Harry-Mähne, unter der sie keine Miene verzieht. Tätig ist sie in den End-80ern, die sie in den letzten Tagen vorm Fall der Mauer nach Berlin führen.

Spion-Hochburg Berlin

Dass sich dieser Film nicht mit den Umständen des Mauerfalls aufhalten wird, legt er gleich zu Beginn mittels eines Disclaimers dar, der sich an einen Einspieler von Ronald Reagans „Mr. Gorbatschow, tear down this wall“-Rede schließt. Stattdessen wird Berlin als Hochburg für Spione aus Ost und West zu Zeiten des Kalten Krieges fokussiert: Geheimagenten, die verdeckt für den CIA, den MI6, den KGB oder gleich für mehrere Geheimdienste ermitteln, tummelten sich zur damaligen Zeit in der Stadt, die auch heutzutage offenbar von Spionen aus aller Welt frequentiert wird.

Atomic Blonde

Geheimagentin Lorraine Broughton (Charlize Theron)

Hierher wird Lorraine nach der Ermordung ihres MI6-Kollegen Gasciogne entsendet. Gasciogne hatte eine Liste mit den Namen aller Doppelagenten bei sich, die für beide Fronten des Kalten Krieges tätig sind. Lorraine soll diese Liste finden und einen Doppelagenten namens Satchel ermorden, der mit den Russen zusammenarbeiten und für Gasciognes Tod verantwortlich sein soll. Helfen soll ihr dabei der seit Jahren in Berlin spionierende Brite David Percival (James McAvoy). Als undurchsichtiger, dem Exzess zugeneigter Brite passt er gut in das von Atomic Blonde imaginierte Berlin der schmucken Gegensätze hinein: Neon und Betongrau, Protest und Kommerz, Biederkeit und Exzesse. „Wenn der Film reißt und anfängt zu brennen“, das sei Berlin, sülzt es an einer Stelle, über die jeder Nicht-Tourist in Berlin die Augen verdrehen wird.

Atomic Blonde

Damals, bevor alles durchsaniert wurde…

Beeindruckendes Stunt-Kino

Nichtsdestotrotz muss man anerkennen, dass David Leitch Berlin als Kulisse für eindrucksvolle Stunt-Szenen zu nutzen weiß. Durch Altbauten, Protestmärsche und Kinos prügelt sich Lorraine und zeigt den Zuschauern, woher ihre Blessuren von der Anfangseinstellung rühren. Scheinbar ohne Schnitte und mitunter ins spannend Endlose gedehnt sind diese Prügeleien, Schusswechsel und Verfolgungsjagden gedreht und rufen in Erinnerung, dass der langjährige Stuntman Leitch schon beim Actionspektakel John Wick (2014) mit von der Regie-Partie war. Zu den absolut sehenswerten Stellen im Film gehört eine atemberaubend lange Kampfszene in einem Altbau, durch den sich Lorraine mit Hilfe aller greifbaren Requisiten kämpft, bis sich ihre blonden Haarspitzen rot färben.

Was zusammen gehört, wächst nicht zusammen

Style und Stunt gehen hierbei immer Hand in Hand, etwa wenn zu George Michaels Father Figure eine Polizisten-Einheit von Lorraine niedergestreckt wird. Nur leider fügt sich dies alles nicht mit der etwas zu verschlungenen Story um falsche Identitäten und „Traue niemandem“-Motiv zusammen. Das Interesse an Lorraines Person und ihren Absichten gerät im Lauf des Films und mit jeder der detailversessen choreographierten Actionsequenzen zunehmend in den Hintergrund. So fallen die angestrebten Aha-Momente gegen Ende des Films leider flach. Und dem Zuschauer bleibt neben legendärer Kampfszenen nur das Wummern von Blue Monday im Gedächtnis.

Atomic BlondeAtomic Blonde

USA 2017

Regie: David Leitch. Drehbuch: Kurt Johnstad

Basierend auf der Graphic Novel THE COLDEST CITY von Antony Johnston

Besetzung: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Sofia Boutella u.a.

115 Min. Kinostart Deutschland: 24. August 2017

culturshock-Wertung: 6/10

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