Buchkritik: Von unten
In ihrer autobiographischen Graphic Novel Von unten beschreibt die polnische Comic-Künstlerin Daria Bogdanska ihre ersten Jahre im schwedischen Malmö. Die private Lebenskrise wird zur politischen, als sie mit der Ausbeutung von Arbeitsmigranten konfrontiert wird.
Ein Neuanfang in Malmö
Wenig Geld und etwas Hoffnung auf ein geordneteres Leben hat die 25-jährige Daria, als sie 2013 im schwedischen Malmö ankommt. Die gebürtige Polin wurde hier an einer auf Comics spezialisierten Kunsthochschule angenommen. „Ein Studium war der verzweifelte Versuch, mein Leben in den Griff zu bekommen“, erklärt uns die Erzählerin in den Textfeldern dieser autobiografischen Graphic Novel. Nach dem Schulabbruch schlug sich Daria mit Gelegenheitsjobs durch Europa, ohne Ziel, ohne Balance, so scheint es. Malmö soll ein Neuanfang werden.
Und zunächst sieht es gut aus für Daria: Über ihre Auslandsbekanntschaft Erik lernt sie in Malmö Mendi kennen, der sich im weiteren Verlauf von Von unten als treuer und hilfsbereiter Kumpel erweist. Weitere nette, musikbegeisterte und alternative Twenty-Somethings treten in Darias Leben. Man unterhält sich auf funktionalem Englisch, da Darias Schwedischkenntnisse noch schwindend gering sind. Wäre da nicht diese lästige Geld- und Existenzfrage, könnte sie sich bald mühelos einleben. Doch mit ihrer eingeschränkten Aufenthaltsberechtigung hat Daria weder Anspruch auf Bafög, noch Sozialhilfe. Ein Job muss her, was sich nicht nur wegen Darias mangelnder Sprachkenntnisse schwierig gestaltet. Ohne Steuernummer gibt es keinen Job und ohne Jobnachweis keine Steuernummer. Da sie auf ein baldiges Einkommen angewiesen ist, bleibt eben nur Schwarzarbeit.
Gefühlte und handfeste Lebenskrisen
Daria Bogdanskas Graphic Novel zeigt eine interessante Verflechtung von individuell-emotionalen und gesellschaftlich bedingten Existenzsorgen. So durchlebt Daria in Von unten das, was inzwischen als Quarter-Life-Crisis bekannt ist: das drängende und unangenehme Gefühl, dass man sein Leben in der Mitte der Zwanziger tunlichst in den Griff kriegen und nach sinnvollen Tätigkeiten und Beziehungen streben sollte. Dies kann sich, wie in Darias Fall, schwierig gestalten, wenn man sich von Freiheit und Abwechslung angezogen fühlt, aber sich auch nach Stabilität und Geborgenheit sehnt. So beginnt Daria bald an ihrer offenen Fernbeziehung zum Schweden Erik zu zweifeln, nachdem sie in Malmö den Musiker und Krankenpfleger Krisse kennenlernt.
Dies alles bildet Bogdanska in einem zunächst kindlich anmutenden Zeichenstil ab. Den Gesichtern der Figuren sind Emotionen und Belastungen leicht abzulesen, die Gesten sind einfach. Und selbst in den Panels, die ausschweifende Underground-Feiern abbilden, herrscht eine gewisse Niedlichkeit vor. Doch Bogdanskas Auge fürs Detail wird in den Bildern von den Straßen und Gebäuden Malmös deutlich, das überschaubar und großstädtisch zugleich wirkt. Und vor diesem Hintergrund spielt sich das Hauptthema von Von unten ab: der harte Kampf ums Ein- und Auskommen für Migranten in Malmö.
Die Restaurants und Cafés dieser Stadt sind gut besucht, so dass Daria bald als Kellnerin in der pakistanischen „Curry Hut“ anheuert. Doch schon bald findet sie heraus, dass der Ladenbesitzer Sanad seine Mitarbeiter in Abhängigkeit zu deren Herkunft bezahlt. So verdient Daria mehr als ihre Kollegin Nirja aus Bangladesh und weniger als die schwedische Kellnerin Ida. Ein Missstand, den Daria zunächst nicht anzusprechen wagt, da sie das Geld dringend braucht.
Agieren statt resignieren
Im weiteren Verlauf von Von unten reflektiert Bogdanska solche unfairen Arbeitsbedingungen anhand ihrer eigenen Erfahrungen weiter. Das „Curry Hut“-Phänomen ist empörend, aber auch die Praktiken einiger alternativer Jungunternehmer lassen zu wünschen übrig. So wird Daria vom Betreiber eines veganen Burgerstands auf einem Festival nicht der volle Lohn ausgezahlt. Und als Fahrradkurierin und Mitarbeiterin in einem Fairtrade-Café außerhalb Schwedens hatte sie auch schon mit ausbeuterischen und kritikunfähigen Chefs zu tun: „Ich wurde unzählige Male gefeuert. Und immer, weil ich mich gegen Ungerechtigkeit gewehrt hatte.“
In dieser autobiographischen Graphic Novel offenbart Daria Bogdanska, die sich inzwischen ein stabiles Leben in Malmö aufbauen konnte, viel von sich selbst – unter anderem auch ihre klare linksalternative Haltung. Mitunter droht Von unten in einen etwas verkürzten, antikapitalistischen Thesenroman abzugleiten, zum Beispiel, wenn Daria mit Blick auf die gut besuchten Lokale um sie herum folgende Gedanken formuliert: „Manche müssen arbeiten, damit andere feiern können. Die Rollen sind ziemlich klar verteilt. Und da heißt es, die Sklaverei wäre seit Hunderten von Jahren abgeschafft.“
Doch insgesamt bildet Von unten einen bewundernswert konstruktiven Kampf seiner Protagonistin und Autorin ab. Daria wehrt sich gegen die Arbeitsmissstände mit Mitteln, die mitunter für veraltet oder wirkungslos gehalten werden, aber in vielen Demokratien immer noch verfügbar sind. Damit liefert Von unten nicht nur eine Anleitung dafür, wie man gegen Ausbeutung vorgehen, sondern auch, wie man die Quarter-Life-Krise überstehen kann: indem man die inneren Kämpfe konstruktiv veräußert und Ungerechtigkeiten in Angriff nimmt, die nicht nur einen selbst betreffen.
Daria Bogdanska:Von unten(Original: Wage Slaves) culturshock-Wertung: 7/10 |
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