Buchkritik: Nick Cave. Mercy on Me
Reinhard Kleists Comic-Biografie Nick Cave. Mercy On Me
Das längliche Gesicht, die rabenschwarze Haartolle, der ernste durchdringende Blick – es ist unverkennbar Nick Cave, der hier in hartem, aber feinem Strich von Reinhard Kleist in unterschiedlichen Lebensphasen eingefangen wurde. In der Graphic Novel Nick Cave. Mercy On Me sehen wir ihn die Stirn runzeln, seine Umgebung mit verächtlichen Blicken strafen, beinahe dem Wahnsinn verfallen, grübeln, aber niemals lachen.
Kleists Bild von Cave und dieser Comic-Band als ganzer schöpfen aus der Düsternis, für die der gelegentlich Prince of Darkness genannte Musiker, allgemein bekannt ist. Fans wissen um einige der dunklen Momente in Caves Leben, den frühen Verlust des Vaters, den jahrelangen Drogenmissbrauch und zuletzt den tragischen Verlust seines Sohns. Die familiären Schicksale spart Kleist aus und widmet sich bewusst der Künstlerwerdung und den lyrischen Schöpfungen Caves. Damit vermag er es fast zum Kern seines Schaffens vorzudringen.
Weltenschöpfer und Marionettenspieler
In fünf Kapiteln ist Nick Cave. Mercy On Me unterteilt, von denen die ersten vier mit einer Figur aus Caves lyrischem Kosmos eingeführt werden: Der junge Ausreißer aus dem Hammer Song (1990), Eliza Day aus seinem kommerziell erfolgreichsten Song Where the Wild Roses Grow (1995), der stumme Euchrid aus Caves Debütroman And the Ass Saw The Angel (1989) und schließlich der Todeskandidat aus Mercy Seat (1988).
Alle Figuren haben gemein, dass sie dem Untergang geweiht sind, von dem Moment an, wo sie sich Nick Cave erdacht hat. So wird der junge Mann, der zu Beginn dieses Bandes in die weite Welt aufbricht, bald von Kälte und Hunger in die nächste Stadt getrieben, deren Einwohner ihn mit Waffen bedrohen. Den tödlichen Schuss versetzt ihm schließlich ein hochgewachsener Mann mit nach hinten gekämmtem dunklen Haar, den wir trotz von Schatten verdecktem Gesicht als Cave himself erkennen. Für seine Figuren ist Nick Cave Schöpfer und Henker zugleich. In zunehmend vorwurfsvollem Ton klagen sie ihn an, konfrontieren ihn mit ihrer Verzweiflung über ihre traurigen Schicksale. Es sind kraftvolle Bilder für die Gottbezogenheit in vielen Songs von Nick Cave & The Bad Seeds, in denen über Glauben, Vergebung, Erlösung kontempliert wird – ohne dass sie jemals zu Bekenntnishymnen verfallen.
Distanz zum Privaten, Nähe zum Kreativen
Als treibende Kraft hinter der Kreativität des jungen Cave tritt die australische Singer-Songwriterin Anita Lane hervor, die Cave mit Anfang 20 kennenlernte. Ihre Liebesbeziehung schildert Kleist in anmutigen Bildern, die sie als in ihrem Schreibdrang verbundenes junges Paar zeigen. Lane ist es, die Cave darin bestärkt, in seinen Songtexten abstrakter zu werden, sich gänzlich seinen Figuren hinzugeben und seine Band (damals noch The Boys Next Door) in eine experimentellere Richtung zu steuern. Als „Anker“ in seinem Leben wird sie hier bezeichnet. Auch in den kommenden Jahren, die Cave mit Birthday Party herumreist, reißt die Innigkeit zwischen den beiden nicht ab.
Der ewige Prince of Darkness
Dass diese Beziehung zwischen Lane und Cave vor allem auf kreativer Seelenverwandtschaft fußt, ist wohl der Grund, dass sich Kleist ihr überhaupt zuwendet. Ansonsten wird der ganz private, abseits seines lyrischen und musikalischen Schaffens existierende Cave weitgehend ausgespart. Dies ist eine Entscheidung, die man respektieren muss und die der Eindrücklichkeit von Kleists Comic-Biographie keinen Abbruch tut.
Allerdings tritt so noch stärker hervor, dass er damit nicht ganz zum Herzen von Caves Schaffen vordringen kann. Der Erzählansatz, Cave mit seinen am Abgrund wankenden Figuren zu konfrontieren, ist reizvoll. Er betont aber vor allem die schaurige, dunkle Seite seiner Songs. Wie so oft, kann diese aber nur gemeinsam mit den hoffnungsvollen, den menschlichen Irrungen gnädig gestimmten Elementen seines Werks existieren – man denke beispielsweise an Songs wie People Ain’t No Good (1997). Von dieser vielleicht nicht gerade heiteren, aber doch sanftmütigen Seite des Cave’schen Kosmos ist in Kleists ansonsten lesenswerten Werk wenig zu spüren. Es schwelgt im Dunklen und re-inszeniert Cave als ewige Ikone der Düsternis. Mit etwas mehr Licht und Witz hätte er die Essenz von Nick Caves Musik vielleicht auf den Punkt gebracht.
Reinhard Kleist: |
Nick Cave. Mercy On Me |
Comic/Graphic Biography, Schwarz-Weiß-Abbildungen |
Carlsen Verlag, Hamburg 2017 |
328 S. 24,99 Euro |