Film

Filmkritik: Yalda

Ein Vergebungsakt in einer Fernsehsendung ist das einzige, was eine junge Iranerin vor der Hinrichtung bewahren kann. Was dystopisch anmutet, ist bitterer Ernst im etwas zähen Drama Yalda.

Die längste Nacht ihres Lebens

Als lebhaftes Lichtermeer wird uns das nächtliche Teheran zu Beginn von Yalda präsentiert. Es ist die längste Nacht des Jahres, die iranische Wintersonnenwende, zu der das zoroastrische Fest Yalda mit der Familie in Andenken an die Kürze unserer Lebenszeit gefeiert wird. Unzählige Autos sind auf den verschlungenen, aus Vogelperspektive gefilmten Straßen unterwegs und in einem von ihnen sitzt die Protagonistin des nun folgenden Dramas: Maryam (Sadaf Asgari), eine Mittzwanzigerin, die seit über einem Jahr im Gefängnis auf ihre Hinrichtung wartet. Sie soll ihren Mann Nasser, mit dem sie in einer sogenannten ‚Zeitehe‘ lebte, ermordet haben. Das einzige, was sie vorm Erhängungstod bewahren kann, ist die Vergebung durch Nassers Tochter Mona (Behnaz Jafari) – eine zivilrechtliche Besonderheit im Iran. Und dieser Akt der Vergebung soll in diesem an realen Hintergründen angelehnten Drama in der Fernsehshow Freude der Vergebung erfolgen.

Yalda Drama Iran

Auf dem Weg zu ihrer letzten Chance: Maryam (Sadaf Asgari)

Umstände, auf die Maryam keinen Einfluss hatte. Der Fernsehauftritt wurde von ihrer Mutter (Fereshte Sadre Orafaee) eingefädelt, die nichts unversucht lassen will, ihre Tochter zu retten. Dementsprechend wirkt sie konstant auf Maryam ein, sich doch den Zuschauererwartungen entsprechend zu verhalten. Doch Maryam will sich nicht so einfach in diese ihr auferlegte Passivität und Demut fügen. Noch vor Beginn der Show diskutiert sie mit dem Produzenten Ayat (Babak Karimi) über den Sendungsablauf und den Doku-Einspieler zu ihrer Tat. Sie pocht darauf, die Sendezeit nicht für ihr Gnadengesuch nutzen zu müssen. Stattdessen will sie ihre Seite der Geschichte erzählen.

Traurige Spitzenpositionen

Ein gewichtiges Thema rückt Drehbuchautor und Regisseur Massoud Bakhshi mit Yalda in den Fokus – und dies aus guten Gründen. Der Menschenrechtsorganisation Amnesty zufolge wurden im Iran im vergangenen Jahr (nach offiziellen Angaben) 251 Hinrichtungen vollstreckt. Damit belegt das Land nach China den zweiten Platz in den jährlichen Hinrichtungsraten. In Mordfällen erfolgt die Todesstrafe häufig auf Forderung der Familie des Angehörigen, die von ihrem von der Scharia gedeckten Recht auf ‚Qisas‘, Wiedervergeltung, Gebrauch macht. Stattdessen können die Hinterbliebenen auch Gnade üben, den Angeklagten die Todesstrafe ersparen und ein sogenanntes Blutgeld für ihren Verlust von der Familie des Angeklagten einfordern. Für Vergebung und die Rettung der zum Tode Verurteilten machen sich seit Jahren Bürgerinitiativen im Iran stark, was in einigen Fällen gelingt. In anderen, mitunter besonders bestürzenden Fällen passiert dies leider nicht. Und tatsächlich gab es jahrelang auch die erfolgreiche Fernsehshow Mah-e Asal, in der die Vergebung vor laufender Kamera erfolgte.

Der Schein der Vergebung

Yalda Drama Iran

Mona (Behnaz Jafari), Omid (Arman Darvish) und Maryam (Sadaf Asgari) in der Live-Sendung ‚Freude der Vergebung‘

Yalda zeigt uns zunächst das hektische Gewusel hinter den Kulissen solch einer Live-Sendung, die auf die Kooperation der emotionalen Gäste angewiesen ist. Der elegante Moderator Omid (Arman Darvish) führt durch die Show, die sich vor einem modern-opulenten Setting abspielt und stets um frommen Ernst bemüht ist. Doch obwohl allen Teilnehmenden und Zuschauenden klar ist, dass es an diesem Abend um nichts geringeres als ein Menschenleben geht, stört sich niemand an den eingestreuten Entertainment-Einlagen. Ein Schmusesänger tritt auf, eine berühmte Schauspielerin rezitiert Gedichte, es gibt eine Verlosung und schließlich eine SMS-Abstimmung der Zuschauer darüber, ob Maryam Vergebung verdient hat. Und dazwischen kommt es zur Konfrontation zwischen Maryam und Mona, die früher ein schwesterliches Verhältnis zueinander hatten.

Zum Spannungsfaktor wird für die Zuschauer der Sendung und gleichermaßen für uns Kinozuschauer, ob die Hinterbliebene Mona Maryam tatsächlich vergeben kann. Doch anders als die Fernsehzuschauer erfahren wir im Verlauf von Yalda, dass solche Vergebungsakte nicht unbedingt aus einer tieferen Überzeugung vom Wert eines Menschenlebens rühren. Vielmehr wirken gesellschaftliche Erwartungen, die Angst vor Gesichtsverlust und Statusdenken auf die Entscheidung ein. Alles, nur nicht die aufrichtige Absicht, den zugefügten Schmerz zu akzeptieren und nicht vergelten zu wollen.

Wichtige Themen, fehlende Intensität

Zweifellos interessante Einblicke in spezifisch iranische Zustände und gleichermaßen generelle Fragen der Menschlichkeit gibt uns Bakshi mit seinem Drama. Doch so unwahrscheinlich es erscheinen mag, stellt sich im mitunter zähen Verlauf von Yalda leider nicht die Intensität ein, die man von solch einem psychologischen Kammerspiel erwarten würde. Und dies liegt keineswegs an der nüchternen, fast dokumentarischen Inszenierung des Geschehens, die souverän aufzeigt, was sich vor und hinter den Kulissen einer solchen Show abspielt. Vielmehr sind es die etwas schablonenhaft geratenen Charaktere, deren innere Kämpfe letzten Endes ohne Tiefe verhandelt werden und kaum emotionalen Widerhall erzeugen. Die fast schon Soap Opera-haften Wendungen, mit denen Bakshi den Plot aufladen wollte, tun ihr Übriges, um das zentrale Thema dieses Films verblassen zu lassen. Schade.

Yalda Drama IranYalda

(Original/International: Yalda – A Night For Forgiveness)
Frankreich, Deutschland, Schweiz, Luxemburg, Iran 2019
REGIE & DREHBUCH: Massoud Bakhshi
KAMERA: Julian Atanassov
BESETZUNG: Sadaf Asgari, Behnaz Jafari, Fereshte Sadre Orafaee, Forough Ghojabagli, Arman Darvish, Babak Karimi, Fereshteh Hosseini
89 Min. Kinostart Deutschland: 27. August 2020

culturshock-Wertung: 6/10

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