Filmkritik: The Visit
Mit The Sixth Sense begeisterte er, mit The Village irritierte er und mit The Happening enttäuschte er vollends. In den vergangenen Jahren konnte man mitverfolgen, wie die einst hohen Erwartungen an den Drehbuchautor und Regisseur M. Night Shyamalan konstant sanken. Zu oft bediente er sich einer alles umkehrenden Wendung am Ende seiner mysteriösen Filme und zu selten hielten die Zuschauer überhaupt bis zu zum Ende durch. Seine Plots schienen immer abstruser, die Wendungen hingegen immer uninspirierter. Und doch haben die ersten Trailer und Teaser zu seinem jüngsten Film The Visit die Hoffnung geschürt, dass sich Shyamalan wieder zurück auf seine Wurzeln besinnen und uns den unerwarteten Schauer des Unheimlichen erneut über den Rücken jagen könnte.
Besuch bei Unbekannten
Die Geschwister Rebecca (Olivia DeJonge) und Tyler (Ed Oxenbould) sind um die Jahrtausendwende geboren und entsprechend soziokulturell geprägt. Während der aufgeweckte 13-jährige Tyler plant, als Rapper ‚T-Diamond‘ im Stile von Tyler, The Creator groß rauszukommen, bastelt die ältere Rebecca an ihrer Karriere als Filmemacherin. The Visit wird dementsprechend als Found Footage-Story präsentiert, also als das gesammelte und zurechtgeschnittene Filmmaterial von Rebecca.
Das Thema ihres Doku-Debüts ist ein besonderer Besuch: Tyler und Rebecca sollen zum ersten Mal Zeit bei ihren Großeltern verbringen, die sie bislang nicht kennenlernen konnten. Ihre geschiedene Mutter Paula (Kathryn Hahn) hatte sich vor 15 Jahren mit diesen überworfen und kann trotz ihrer herzlichen Offenheit gegenüber ihren Kindern nicht darüber sprechen, was damals genau geschehen ist. Aber zumindest scheint sie keinerlei Bedenken zu haben, ihre Kinder den entfremdeten Eltern anzuvertrauen, während sie selbst unterwegs auf einer Kreuzfahrt mit ihrem Freund ist.
Alt oder wahnhaft?
Das unheimliche Moment in The Visit entsteht durch den Zweifel an der Perspektive. Die Geschichte um die merkwürdigen Großeltern wird aus der Sicht zweier aufgeweckter, aber dennoch unreifer Teenager geschildert und gefilmt. Es liegt also nahe, ihre Schlüsse als voreilig und als Ergebnis ihres bislang fehlenden Umgangs mit älteren Menschen abzutun – vor allem da die albernen Reaktionen von Rebecca und Tyler sehr amüsant sind. Dementsprechend reagiert auch ihre Mutter via Skype, als die Kinder ihr erzählen, dass Doris nachts kaum bekleidet durchs Haus schreitet und John einen seltsamen Umgang mit seiner Inkontinenz pflegt. Die beiden seien eben alte Menschen, die ihre Körper nicht mehr gänzlich unter Kontrolle hätten, erklärt ihnen ihre Mutter.
Zudem ist da noch die fehlende Vertrautheit mit ihren Großeltern, die die Geschwister sehr spät kennenlernen und über die sie abgesehen von den wenigen Erzählungen ihrer Mutter fast nichts wissen. Shyamalan versteht es, diesen Zweifel des Zuschauers sowohl für die lustigen und unheimlichen Momente von The Visit zu nutzen, wobei das Komödiantische in diesem Film eindeutig überwiegt. Er erhält diesen Zweifel aufrecht bis zum letzten Tag des Besuchs, an dem Rebecca und Tyler ihrem Misstrauen vollends nachgeben und Erschreckendes erleben.
Die Hoffnung nach dem Twist
Hier wird natürlich nicht verraten, wie The Visit ausgeht, bis auf das, was man sich denken kann: Shyamalan konnte es nicht lassen und hat einen Twist eingebaut, der das seltsame Verhalten der Großeltern begreiflich macht. Diese Wendung fällt zwar nicht allzu vorhersehbar aus, aber leider hatte der Regisseur und Drehbuchautor wohl einen Zuschauer im Sinn, dem man alles haargenau erklären und noch dazu eine Auflösungspointe à la Signs bieten muss: Am Ende muss alles einen Sinn ergeben, selbst die Spleens der Teenager.
Mit diesem Ende büßt The Visit zwar leider einen Teil seines sonderbar-amüsanten Charakters ein, aber dennoch gibt es Grund zur Hoffnung. Shyamalan besinnt sich mit seinem neuesten Werk nicht bloß auf seine Horrorthriller-Wurzeln zurück, sondern ist noch einen weiteren Schritt zurückgegangen. So betrug das Budget für The Visit gerade mal fünf Millionen US-Dollar, die Shyamalan von seinem letzten Regie-Gehalt abzweigte, womit er sich von den großen Blockbuster-Studios unabhängig gemacht hat. Dementsprechend haftet The Visit an vielen Stellen das sympathisch Unbeholfene und Erfrischende eines Debütfilms an. Man kann dies für einen Rückschritt halten oder für eine gute Ausgangslage für Shyamalan, um mit dem nächsten Film wirklich an den Erfolg von The Sixth Sense anzuknüpfen.
The VisitBlinding Edge Pictures, USA 2015 culturshock-Wertung: 6/10 |