Filmkritik: Skin
BERLINALE PANORAMA: Vom langwierigen und schmerzhaften Identitätswandel eines Neonazis erzählt Guy Nattiv in seinem Ausstiegsdrama Skin.
Kann sich ein Mensch, der sich intensiv dem Hass verschrieben hat, tatsächlich ändern? Diese Frage stellt sich nicht mehr, wenn man sich mit der Geschichte von Ex-Neonazi Bryon Widner auseinandersetzt. Auf seiner Ausstiegsgeschichte beruht Guy Nattivs Drama Skin. Bildlich wie wörtlich geht es darin um die Schwierigkeit, aus seiner Haut zu kommen. In Bryons (Jamie Bell) Fall ist diese mit unzähligen Tattoos aus der Hammerskin-Szene versehen, einschließlich seines Gesichts. Seine Gesinnung ist so für jeden auf ersten Blick erkennbar. Zudem wird klar, dass er sich ihr auf Lebenszeit verschrieben hat.
Und so wird sein Alltag bestimmt von Prügeleien, Aufmärschen, menschenfeindlichem Gegröle und Alkoholgelagen. Wie niedrig Bryons Hemmschwelle ist, erfahren wir gleich zu Beginn, als er auf einer Demo einen schwarzen Gegendemonstranten niederschlägt und ihm mit seiner Rasierklinge ein Hakenkreuz in die Wange ritzt. In der von seinen Zieheltern geleiteten Nazi-Gruppe ist er ein gefürchtetes wie beneidetes Mitglied mit hohem Rang. Diesen verteidigt er allzeit bereit mit (man ahnt es) Gewalt.
Seine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit
Doch etwas muss passieren, das ihn seine einstige Identität ablegen lässt. Denn im Verlauf von Skin gibt es immer wieder Einblendungen von recht schmerzhaft aussehenden Laserbehandlungen. Quadratmilimeterweise werden hier in Nahaufnahme Bryons Gesichtstattoos entfernt, die sich über Kinn, Wange, Stirn und Nase ausbreiten.
Was ihn dazu bewogen hat, entwickelt sich mit einer kontrastreichen Zartheit in Skin, der man gern zuschaut. Auf einem Konzert lernt Bryon die dreifache alleinerziehende Mutter Julie (Danielle Macdonald) kennen. Einst gehörte sie ebenfalls der Neonazi-Szene an, versucht nun aber ihr Leben und das ihrer Töchter in geregelte Bahnen zu lenken. Bryon, der eine lose Affäre mit einer Frau aus seiner Gruppe hat, nimmt Kontakt zu Julie auf, bittet sie um ein Date und steht bald (zum Unmut der Nachbarn) vor ihrer Haustür. Die beiden kommen sich schnell sehr nahe und es ist den beiden Hauptdarstellern Bell und Macdonald zu verdanken, dass das Ganze natürlich und glaubwürdig wirkt. Ohne viele Wortwechsel scheint es schnell nachvollziehbar, warum sich Bryon in Julie verliebt und ein anderes Leben als Möglichkeit begreift. Dieses wird zum Muss, als Julie ein Kind von Bryon erwartet.
Keine Illusionen, aber Glaubwürdigkeit
Im weiteren Verlauf entwickelt sich Skin zur dramaturgisch mitunter überfrachteten Ausstiegsgeschichte. Als seiner Gruppe klar wird, dass Bryon aussteigt, setzen sie alles daran, seinen Plan für ein neues Leben zu durchkreuzen. Die junge Familie wird bald verfolgt und terrorisiert. In seiner Verzweiflung wendet sich Bryon schließlich an Daryle Lamont Jenkins (Mike Colter), der ein Ausstiegsprogramm für Extremisten betreibt. Bryon und seine Familie erhalten die Möglichkeit, in ein Zeugenschutzprogramm zu kommen. Im Gegenzug muss Bryon Informationen zur Neonazi-Szene liefern. Das einzige, was einem neuen Leben für Bryon und Julie im Wege steht, ist seine Haut. Und alles, was mit den eintätowierten Symbolen an Gesinnung und Verhaltensmustern in Verbindung steht.
Guy Nattiv, der auch das Drehbuch zu Skin schrieb, schildert die Geschichte um Bryons Wandel ernsthaft und ohne allzu naive Illusionen zu bedienen. Bryon setzt sich an keiner Stelle des Films intensiv mit seinen Gewalttaten und ihren Opfern auseinander. Es gibt keinen rührseligen Moment der moralischen Erweckung. Sein Ausstiegswunsch wird vorrangig vom Wunsch nach einem stabilen Familienleben bestimmt. Dies ist auch in Ausstiegsprogrammen hierzulande häufig der Fall.
Aber gerade durch diesen realistischen Zugang gelingt es Nattiv dieses Thema auf eine allgemeinere Ebene des menschlichen Mitgefühls zu bringen. Fernab von politischen Ansichten und der Wut über die prekären Entwicklungen der vergangenen Jahre schafft es Skin damit, uns sachte daran zu erinnern, wie man Hass auch begegnen kann. Natürlich gelingt das nicht in allen Fällen. Aber die Bilder vom echten Bryon in enger Umarmung mit dem schwarzen Antifa-Mitglied Daryle, die am Ende von Skin eingeblendet werden, machen Hoffnung. Und ließen kaum Augen trocken im Publikum.
SkinUSA 2018 culturshock-Wertung: 8/10 |
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