Filmkritik: It Comes at Night
Wie genau sich der Virus verbreitet, der große Teile der Menschen in It Comes At Night bedroht oder schon ausgelöscht hat, davon wissen wir genau so wenig wie die Hauptfiguren. Wer infiziert ist, hat innerhalb kurzer Zeit Blutblasen am ganzen Körper und die Gewissheit, bald sterben zu müssen – wenn auch nicht unbedingt auf natürliche Weise.
Und so tauchen gleich zu Beginn von It Comes At Night Zweifel auf, ob der ältere Bud (David Pendleton) Verständnis für seine Familie hat, die ihn in Atemschutzmasken umringt, sich tränenreich verabschiedet und ihn schließlich mit einer Schubkarre hinausbefördert und erschießt.
Übrig bleiben seine erwachsene Tochter Sarah (Carmen Ejogo), dessen Ehemann Paul (Joel Edgerton), der gemeinsame Teenager-Sohn Travis (Kelvin Harrison Jr.) und dessen Hund Stanley. Eine Familie, die sich sicher ist, nur aufgrund ihres isolierten und autarken Lebensstils in einem abgelegenen Haus im Wald überlebt zu haben.
Der Eindringling
Dass dieses Sicherheitsgefühl herausgefordert werden und auch diese Familie sich öffnen und/oder sterben muss, gehört zu den Prämissen der meisten postapokalyptischen Fiktionen. Drehbuchautor und Regisseur Trey Edward Shults legt aber Wert darauf, das Eindringen der Gefahr in das geschützte Haus sehr langsam zu fokussieren: Traumsequenzen, eine geisterhaft durchs Haus wandernde Kamera und die sich immer wieder mit Spannung vollsaugende Einstellung auf die rote Tür, die das sichere Innen vom bedrohlichen Außen trennt. Auf ebendiese Tür starren Paul, Sarah und Travis eines Nachts, als sich ein junger Mann gewaltsam Zutritt zum Haus verschaffen will. Der stets bewaffnete Paul hat die Lage schnell im Griff und verhört den Einbrecher namens Will (Christopher Abbott) bald darauf im Wald. Als dieser ihm von seiner eigenen, dringend Trinkwasser benötigenden Familie erzählt und einen Tauschhandel vorschlägt, willigt Paul nach einigem Zögern ein.
Zuwachs
Pauls Vertrauen geht so weit, dass er Will, dessen Frau Kim und ihren kleinen Sohn Andrew bei sich einziehen lässt. Das Haus ist groß genug und auch Sarah und Travis freuen sich über die Gesellschaft. Das Vertrauen und die Freude über die neuen Mitmenschen reichen aber nur so weit wie Pauls klare Regeln: Niemand darf sich tagsüber allein draußen aufhalten, nachts wird das Haus nicht verlassen und die rote Tür muss abgeschlossen werden. Will und seine Familie teilen zwar nicht den Sicherheitswahn der Familie, befolgen aber diese Regeln. Eine Weile lebt man in glücklicher Harmonie zusammen. Bis der Vertrauensvorschuss sich langsam aufbraucht und in einer Nacht die Paranoia beider Familien Amok läuft.
Vertrauensverlust und Eskalation
Noch bevor It Comes At Night im Frühjahr 2017 in den US-Kinos anlief, wurde die A24-Produktion von Kritikern hochgelobt, die den Film in Pressevorführungen und auf Festivals gesehen hatten. Die Reaktionen des Publikums fielen aber sehr gemischt aus, was einige auf das irreführende Marketing im Vorfeld des Kinostarts zurückführen. Die ausführlicheren Trailer erwecken den Eindruck eines rabiaten Postapokalypse-Horrors. Es stellt sich der übliche Thrill einer desolaten Situation ein, die ins unermesslich Grauenhafte eskaliert. Dies ist tatsächlich nicht der Film, den man mit It Comes At Night erhält. Schults hat vielmehr einen konzentrierten Psychothriller geschaffen, der mit einer überzeugenden Besetzung die Verbindungen zwischen realer Bedrohung, Paranoia, Isolation und Misstrauen ergründet. In eindringlichen, beeindruckend gefilmten Bildern zeigt er uns, wie in einer permanenten Anspannungssituation jedes Wort, jeder Blick, jede Regung zum sofortigen Vertrauensentzug und zur Eskalation führen können. Und wie wenig Lebenswertes dadurch übrig bleibt.
It Comes At NightUSA 2017Länge: 91 Min.Regie&Drehbuch: Trey Edward ShultsKamera:Besetzung: Joel Edgerton, Christopher Abbott, Carmen Ejogo, Kelvin Harrison Jr., Riley KeoughDeutscher Kinostart: 18. Januar 2018Gesehen auf dem Fantasy Filmfest 2017cultushock-Wertung: 8/10 |