Filmkritik: Requiem für Frau J.
BERLINALE 2017 – PANORAMA. Nur wenige Einstellungen braucht dieser Film, um die Ausgangslage zu etablieren: Aufnahmen aus den Zimmern einer altmodisch eingerichteten und etwas verwahrlosten Wohnung und schließlich vom Küchentisch. An diesem sitzt die 52-jährige Jelena (Mirjana Karanović) und baut eine Pistole zusammen. Seit einem Jahr ist sie Witwe und nicht einmal ihre zwei bei ihr lebenden Töchter können sie über die Trauer hinwegtrösten, die zur handfesten Depression geworden ist. Fünf Tage gibt sie sich noch Zeit, den Papierkram und notwendige Besorgungen zu erledigen. Dann will sie ihrem Leben ein Ende setzen.
Ewiger Blickkontakt
Diese fünf Tage führen sie durch die trostlose postkommunistische Einöde einer serbischen Stadt, deren Aufnahmen so farblos wirken, als wäre ein grauer Schleier drübergelegt. Jelena sucht einen Grabsteinmetzen auf, der – wie auf serbisch-orthodoxen Friedhöfen üblich – ihr Foto und ihre Lebensdaten neben denen ihres Mannes setzen soll. Doch schon dieses Vorhaben gestaltet sich komplizierter als ihr lieb ist, und für den Zuschauer amüsanter als erwartet. Zwischen ihr und ihrem Mann würde sich nicht der „Augenkontakt der Ewigkeit“ einstellen, da ihre Blicke auf den Fotos beide gen Osten (und den Supermarkt neben dem Friedhof) statt zueinander gerichtet sind. Ein inakzeptabler Fehler, dessen Behebung ihn etwas mehr Zeit und Jelena mehr Geld kosten wird.
Auch in den kommenden Tagen kann Jelena ihre Vorhaben nicht mühelos abhaken. Vielmehr beginnt eine bürokratische Odyssee, dadurch ausgelöst, dass Gaja (Srdjan Todorović), der Wettbüro-Kumpane ihres Mannes, sich weigert, ihr die notwendige Patrone für den Revolver auszuhändigen. Stattdessen rät er ihr zu einem „sauberen und schmerzfreien“ Selbstmord durch einen Medikamentencocktail. Die Zutaten für diesen versucht Jelena beim Arzt zu erhalten. Dort kommt sie aber gar nicht erst dran, weil ihr Krankenversicherungsheftchen abgelaufen ist. Die Krankenversicherung schickt sie zur Rentenversicherung, die Rentenversicherung zu ihrem alten Arbeitsplatz, den sie aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen verloren hatte. Die Fabrik, so entdeckt sie bei ihrer Ankunft, besteht inzwischen nur noch aus stillgelegten Anlagen, die in Ruhe vor sich hinrosten.
Das Vergangene im Blick
An all diesen Stationen begegnet Jelena Menschen, denen es ähnlich ergeht wie ihr. Trauer, Armut, Perspektivlosigkeit prägen ihr Dasein. Einige bieten dieser Situation trotzig die Stirn, aber der Blick bleibt stets in die Vergangenheit gerichtet und von den Folgen des Systemzusammenruchs und der Kriege geprägt. Am deutlichsten wird das in einer Szene in einer orthodoxen Kirche, in der wir durch Jelenas Augen erblicken, wie viel mehr Kerzen für die Toten als für die Lebenden angezündet werden.
Während Jelena trotz der Umwege mit jedem verstreichenden Tag ihrem Selbstmord näher kommt, driftet ihre Familie immer weiter auseinander. So ist ihre Tochter Kova (Danica Nedeljković) ist ein obszön fluchender Wildfang und prügelt sich mit ihren Mitschülerinnen. Und ihre erwachsene Tochter Ana (Jovana Gavrilović), die als Gabelstaplerfahrerin den Lebensunterhalt für die gesamte Familie bestreitet, ist der depressiven Lethargie ihrer Mutter längst überdrüssig. In einer verzweifelten Tirade entlädt sie all ihre Wut und Überforderung an ihrer Mutter, die damit in ihrer Selbstmordabsicht noch bestärkt wird.
Ob Jelena ihren Plan nach Ablauf der fünf Tage tatsächlich in die Tat umsetzt, bleibt in Requiem for Mrs. J. tatsächlich bis zum Schluss fraglich. Mit der Hauptfigur durchschreiten wir eine Welt, deren Hoffnungslosigkeit in weiten Aufnahmen von Stillstand und Verfall beeindruckend eingefangen wird. Und doch ist da ein unbändiger Witz in dieser trostlosen Umgebung zu erkennen, in den Menschen und ihrer trotzigen Lebensbejahung. Regisseur Bojan Vuletić stellt in dieser aufwühlenden Tragikomödie aufrichtig dar, warum Leben oder Sterben manchmal als gleichwertige Optionen erscheinen können. Und was dann doch für Ersteres sprechen kann.
Requiem für Frau J.(Original: Rekvijem za gospodju J.) culturshock-Wertung: 7/10 |