Film

BERLINALE 2023 #3: INSIDE (PANORAMA)

Inside, der Debüt-Spielfilm von Vasilis Katsoupis, gibt sich zunächst als außergewöhnliches Survival-Drama, entwickelt sich aber zu einer hintergründigen Reflexion über Kunst, Existenz und Dekadenz.

Knapp sieben Minuten hat Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe) eingeplant, um nach dem Einbruch in ein New Yorker Penthouse drei dort befindliche Gemälde des Expressionisten Egon Schiele zu entwenden. Die ersten zwei findet er schnell, doch ausgerechnet das hochdotierte Selbstbildnis hängt nicht an der vermuteten Stelle im Schlafzimmer des reichen Eigentümers. Über Funk rät ihm sein Komplize, sich dann eben ohne das Selbstbildnis davonzumachen. Doch nachdem Nemo vor Öffnen der Tür den Code ins Bedienfeld des Smart-Home-Systems eingibt, meldet dieses eine Fehlfunktion, woraufhin ein ohrenbetäubendes Alarmsignal losdröhnt und das Penthouse sich komplett verriegelt.

Überleben in der Design-Falle

Der Defekt im Smart-Home-System lässt die Raumtemperatur auf 38 Grad hochschnellen und später auf 6 Grad sinken, die Wasserversorgung ist gekappt und die stahlverstärkte Eingangstür lässt Nemos Schreie nicht nach außen dringen. Fortan ist er gefangen in diesem minimalistischen, von dunkelgrauem Beton dominierten Luxus-Appartement. Dieses steckt voller teurer und wohlkuratierter Gemälde, Fotografien und Skulpturen – in einem Raum läuft gar eine Videoinstallation. Der Besitzer selbst ist auf Geschäftsreise und bleibt abwesend. Mit unbeeindrucktem Gesichtsausdruck starrt er von einem übergroßen Foto-Porträt mit Tochter und Hund auf Nemo herab, während dieser alles an Einfallsreichtum investiert, um in diesem hochmodernen Verließ zu überleben. Nemos einziger Gefährte und zugleich schlechter Vorbote scheint eine Taube zu sein, die sich beim Flug gegen das (verriegelte) Terrassenfenster einen Flügel gebrochen hat und nun im Garten elend zu verenden droht.

Hatte sich seinen Raubzug anders vorgestellt: Nemo (Willem Dafoe) | © Heretic

Mit dem im Zentrum stehenden harten Überlebenskampf von Nemo ließe sich Inside schnell als Survival-Drama in außergewöhnlichem Ambiente abtun. Aber natürlich steckt auch ein subtiler Kommentar zu einer Gegenwart dahinter, in der etwa der Kunstmarkt in den Pandemiejahren florierte, während ein großer Teil der Menschheit um die eigene Existenz bangen musste. Wie unbetroffen die Oberschicht von solchen Nöten ist, zeigt das High End-Appartement, das sich für Nemo bald zur lebensgefährlichen Design-Falle entpuppt. Denn dessen durchdigitalisierte Funktionalität ist vollends auf Komfort und nicht etwa auf Ernstfälle ausgerichtet. So bleibt seine einzige Wasserquelle die Bewässerungsanlage für die In-House-Grünfläche. Unterdessen weist der sprechende Kühlschrank lediglich darauf hin, dass er mal wieder gefüllt werden müsste und spielt den nervtötenden Song „Macarena“, wenn seine Tür zu lange offensteht.

“Art is for keeps.“ Oder nicht?

Und auch einige der Kunstwerke, die Nemo als Kunstkenner und Zeichner selbst zu schätzen weiß, scheinen ihn in seiner Notlage zunehmend zu verspotten. In einer Schlüsselszene entdeckt er vier angeschimmelte Orangen auf einem Sideboard und scheint noch mit sich zu ringen, ob er sie essen sollte – bis sich auch diese als augenzwinkernde, den Verfall fokussierende Designobjekte entpuppen. Dies alles führt Nemo zur eingangs aus dem Off erzählten Anekdote zurück, in der er die drei Dinge nennt, die er als Kind aus seinem brennenden Haus gerettet hätte: sein AC/DC-Album, seinen Kater Groucho und seinen Zeichenblock. „Katzen sterben, Music verklingt, aber Kunst ist für immer“, war seine Erkenntnis. Eine Erkenntnis, die sich im Verlauf dieses hintergründigen, Klaustrophobie und psychische Verwahrlosung assoziativ durchschreitenden existenziellen Dramas für Nemo umdeutet.

Inside

Belgien, Griechenland, Deutschland 2023
REGIE: Vasilis Katsoupis
DREHBUCH: Ben Hopkins
KAMERA: Steve Annis
BESETZUNG: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck
105 Min. Kinostart Deutschland: 16.03.2023
BERLINALE 2023 – Panorama

culturshock-Wertung: 8/10

Share: